Ein nackter Fuß auf Glas

Nur wenige Zentimeter groß: das Fragment einer Glasscherbe aus einer Ausgrabung an der Bollwerkstraße / Hof von Holland. Bild. OL

Emden. Bei archäologischen Untersuchungen im Untergrund einer Parzelle in der Bollwerkstraße / Ecke Hof von Holland ergab sich eine reiche Fundsituation. Das Material, das Archäologen der Ostfriesischen Landschaft bei Grabungen zwischen 2019/20 dort gefunden haben, gibt Einblick in die Ausstattung des gehobenen Haushaltes eines Emder Bürgerhauses des späten 16. beziehungsweise des frühen 17. Jahrhunderts.

Während die Archäologinnen Ines Reese und Dr. Sonja König Reste der ursprünglichen Bebauung in Form von Pflastern sowie Keller- und Fundamentmauern festhielten, die eine rege Bautätigkeit in Emdens Blütezeit bezeugen, richtet sich der Blick nunmehr auf ein Detail: ein kleines Stück bemaltes Fensterglas.

Zu sehen ist ein rechter nackter Fuß, der einen Riemen am unteren Ende des Spanns zeigt. Das darüber liegende Wadenbein, so heißt es in einem Bericht der beiden Archäologinnen, werde von einem losen Stoff umfangen. Der Faltenwurf sei auch noch hinter der Ferse zu erkennen. Im Hintergrund erkenne man einen weiteren, eher flächigen Faltenwurf, der womöglich zu einer weiteren, nicht mehr erkennbaren Person gehöre, oder aber es handele sich um eine Stoffdrapierung, die zum Hintergrund der Bildkomposition gehöre, schreiben die beiden Archäologinnen. „Unterhalb der Fußsohle verläuft mit Abstand ein Randmotiv aus plastisch gemalten volutenartigen Ranken, bei dem es sich auch um das Ende eines Drachenschwanzes handeln könnte.“

Das kleine Stück Glas misst 6,54 x 4,84 Zentimeter an den längsten erhaltenen Seiten. Es ist an drei Seiten polygonal gebrochen. „Der Rand der Scherbe ist nicht gerundet, so dass es sich vermutlich um eine rechteckige Scheibe gehandelt hat.“ Das Stück weise bereits starke Korrosion und Abplatzungen auf.

Fensterglas, so die beiden Archäologinnen, gehöre zunächst nicht zur Grundausstattung eines profanen Gebäudes, vielmehr schmückten Fenster aus gefärbtem Glas oder bemalte Fenster seit dem 12. Jahrhundert vornehmlich sakrale Bauten und Fürstenhäuser. In die Städte werde Fensterglas ab dem 13. Jahrhundert zunächst als sogenannte Butzenscheibe aus grünem Waldglas gebracht.

Bei dem vorliegenden Fragment handele es sich um eine unter den Bürgern der Städte ab dem 15. Jahrhundert in Mode kommende Kabinettscheibe. Diese kleinformatigen Scheiben zierten bereits ab dem 14. Jahrhundert als Wappenscheiben Zunft- und Rathäuser. Allerdings lasse sich aus dem kleinen Emder Fragment nichts Konkretes schließen: „Der Fuß mit der einfachen Riemensandale, das Gewand und der mögliche Drachenschwanz könnten aber eher auf ein mythologisches oder biblisches Motiv hinweisen, wie etwa den Heiligen Georg als Drachentöter ohne Pferd oder der Erzengel Michael, der den Teufel niederwirft.“