Sich Zeit zum Denken nehmen

Die „Turmphilosophen“ im Ostfriesischen Landesmuseum sind wieder aktiv

Von Ina Wagner

Emden. Nach einer längeren, durch die Pandemie verursachten Pause haben sich die „Turmphilosophen“ erstmals wieder getroffen und im Rummel des Ostfriesischen Landesmuseums über ein historisches Gemälde gesprochen. Insgesamt elf Personen im Alter zwischen elf und 85 Jahren nutzten die Gelegenheit zu einem Austausch über Aspekte existenzieller Natur.

Die Vorsteherinnen des Emder Gasthauses, ein Gemälde des Emder Malers Alexander Sanders.

Die „Turmphilosophen“ wurden 2018 ins Leben gerufen. Das museumspädagogische Konzept einer Begegnung zwischen Kindern und Senioren entwickelte Ilse Frerichs nach dem Motto, man wolle sich „Zeit zum Denken nehmen“. 2017 zeichnete die VGH-Stiftung das Modell aus. Seit 2018 traf sich die Gruppe in wechselnder Besetzung, aber regelmäßig – bis Corona kam.

Doch nun soll es mit den Begegnungen weitergehen. Und zur „Wiedereröffnung“ der Reihe hatte Ilse Frerichs ein Gemälde aus dem Landesmuseum ausgewählt – Alexander Sanders „Die Vorsteherinnen des Gasthauses“, auch „De Buitenmoeders“ genannt, aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Es zeigt fünf Frauen, die ein Waisenkind in das Gasthaus – eine karitative Einrichtung in den Räumen des ehemaligen Franziskanerklosters direkt hinter dem Rathaus – aufnehmen und es mit der Erstausstattung versehen.

Der massige Block der in spanischer Tracht gekleideten, nebeneinander aufgebauten Frauen wirkt einschüchternd und lässt das zarte Waisenkind nahezu unscheinbar werden. Und so wandte sich das Gespräch der Turmphilosophen dann auch schnell dem Thema „Angst“ zu. Allerdings sahen die Diskutierenden diese Ängste nicht allein in dem Binnenverhältnis zwischen Vorsteherinnen und Waisenkind, sondern lasen sie auch in den charaktervollen Gesichtern der Frauen, in denen man Bitterkeit und Erstarrung wahrzunehmen meinte.

Geprägt durch die Kirchenzucht in der calvinistischen Religion stritten – so befanden die Gesprächspartner – sowohl Sorge – auch angesichts des Lebens im Dreißigjährigen Krieg und zahlreicher Pest-Epidemien – wie auch Fürsorge um die ihnen – auf diakonischer Ebene – anvertrauten Menschen in dem Gemälde mit.

Daher sollen diese beiden Begriffe – Sorge und Fürsorge – auf dem Rathausturm zu lesen sein. Denn dort oben dokumentieren die Turmphilosophen seit drei Jahren das jeweilige Ergebnis ihres gemeinsamen Denkens in knappen Stichworten.

► Das nächste Treffen findet im Mai statt und befasst sich mit der Emder Synode von 1571. Im Juni geht es um die Sonderausstellung „Komplizenschaft“ im Landesmuseum. Treffpunkt: erster Dienstag im Monat, 15 Uhr, Landesmuseum. Gäste sind stets willkommen. Anmeldung: unter Tel. 0160 / 88 29 049 oder unter ifrerichs@emden,de