„Wir verkaufen Freude!“

Der „Ostfriesische Kunsthandel Arians“ in Remels ist einen Besuch wert

Remels. Das Gebäude liegt an der Hauptstraße und ist eigentlich ein Wohnhaus aus der Nachkriegszeit – wie viele andere auch in der Streusiedlung Remels mit ihren rund 3500 Einwohnern. Doch das besondere ist sein Inhalt. Denn es enthält einen beachtlichen Teil an Kulturhistorie Ostfrieslands. „Mein Museum“ nennt Horst Arians (77) es deshalb.

Seit mehr als 50 Jahren betreibt Arians gemeinsam mit seiner Frau Annegret sein Antiquitätengeschäft – und obwohl das Alter manches Mal drückt, sehen die beiden keinen Anlass, den Umgang mit den schönen Dingen aufzugeben. Als überzeugte Ostfriesen sind ihnen die Ostfrisica ans Herz gewachsen, und auch, wenn diese schönen Dinge zum Verkauf stehen, nehmen sie sich jedes Teils ganz individuell an. So hat jedes der Objekte eine eigene Kartei, auf der alle wichtigen Informationen zusammengefasst sind. Vieles hat Arians aber im Kopf oder kann sich schnell wieder erinnern. Dabei geht es weniger um Jahr und Tag, sondern um die Umstände.

Im Schauraum des Kunsthandels zeigen Horst Arians, Reiner Peppelenbosch und Annegret Arians diesen bunt bemalten Bauernschrank mit viel historischem Inhalt. Bilder: Wagner

Wo hat ein Möbel gestanden, als er es entdeckte? Wer hat ein bestimmtes Objekt besessen? Wer erinnerte sich noch an die Geschichte eines bestimmten Schmuckstücks? So kann der Tischlermeister und geprüfte Restaurator viel erzählen – und das macht er auch gerne. Er hat ja so viel erlebt in seinem Kunsthändlerleben. Und wenn er erzählt, dann spürt man mit einem Mal, wie Leben in jedes der Objekte aus Gold und Silber, aus Zinn und Messing, aus Keramik, Fayence, Holz oder Porzellan fährt. Das bloße Ding bekommt Charakter. Erhält einen „Lebensweg“. Wird allein durch die Wertschätzung des Händlers zu einem Solitär.

Aber, es wird weniger. Immer weniger Menschen wissen die Tradition, für die diese Gegenstände stehen, zu schätzen, sagt Arians. Auch das Wissen über historische, kulturgeschichtliche oder familiär-historische Zusammenhänge nehme in eklatanter Weise ab. „Es fehlt der Hintergrund.“ Und so ist die Wertschätzung für die schönen Dinge mit Vergangenheit nicht mehr gegeben. Ein Beispiel? Arians lächelt. Natürlich! Er hatte einmal einen besonders schönen Schrank in den Blick genommen. Aber der Besitzer wollte nicht verkaufen. Um keinen Preis. Also übte sich Arians in Geduld. Eines Tages aber bekam er einen Tipp. Da stünde ein alter Schrank mitten im Regen vor der Haustür. Zufall oder nicht? Es war natürlich genau das Herzensobjekt, das Arians seit Jahren schon kaufen wollte. Der Besitzer war verstorben, die Erben konnten mit dem Möbel nichts anfangen. Arians schon. Er holte es ab, sanierte es. Und heute steht es als unverkäufliche Rarität im Antiquitätengeschäft in Remels.

Dass Erben keinen Bezug zum Ererbten haben, und dass speziell alte Möbel einen schweren Stand haben, erlebt auch Reiner Peppelenbosch (50) immer häufiger. Der Arians-Neffe ist seit dreizehn Jahren selbständig und führt seither die „Werkstatt Arians“, schräg gegenüber vom Kunsthandel in der Ostertorstraße. Vorher war er dort zehn Jahre lang als Angestellter tätig. Es sei wohl eine genetische Veranlagung, die ihn und seinen Onkel verbinde, mutmaßt Peppelenbosch, während er in ruhiger, bedächtiger Weise den Nachmittagstee im Hause Arians genießt.

Wie sieht Peppelenbosch die Situation im Kunsthandel? Die Auftragslage bei ihm sei gut. Aber grundsätzlich stimme er mit der Skepsis seines Onkels überein. „Wir müssten eigentlich eine Werte-Diskussion führen und dadurch ein neues Bewusstsein für die überkommenen Objekte schaffen.“ Die Achtung vor diesem dinglichen Teil der ostfriesischen Geschichte sei verloren gegangen, „seit der Kaffee aus Pappbechern getrunken wird“.

Reiner Peppelenbosch mit einem Jugendstilschrank, dessen schöne Scheiben mit Jugendstilmotiven – in diesem Fall mit weißen Callablüten verziert sind. Darüber eine Waschgarnitur aus derselben Zeit.

Er habe allerdings auch immer wieder erlebt, dass man Menschen sehr wohl den Unterschied zwischen „wertvoll“ und „kostbar“ klarmachen könne. Denn so manches Erbstück möge zwar nicht wertvoll im pekuniären Sinne sein, könne sich aber sehr wohl als kostbar für die Familiengeschichte oder die eigene Erinnerung erweisen. Dinge, die seit Generationen in der Familie sind, einfach verkaufen? Nein, sagt der Restaurator und schüttelt den Kopf. Dafür fehle ihm das Verständnis.

Ein Blick in seine zweckmäßig aufgeräumte Werkstatt zeigt, was gemeint ist. Da stehen sie eng nebeneinander – Schränke aus dem Barock, ein Schreibtisch aus dem Biedermeier, Stühle aus der Renaissance – alle in unterschiedlichen Stadien der kunsthandwerklichen Bedürftigkeit. Das Stück, an dem Peppelenbosch gerade arbeitet, ist ein historischer Bauernschrank, der aus Ostfriesland stammt, ans gegenüberliegenden Ende Deutschlands mitgenommen wurde und nun – nach ausführlicher Restaurierung – wieder an seinen alten Standort zurückkehren wird. Das sind Geschichten, die Reiner Peppelenbosch und Horst Arians gleichermaßen erfreuen. Denn dass man heute noch Möbel an ihrem originalen Standort finde, sei sehr selten geworden.

Fern sind jene Zeiten, als man auf die Beschaffung bestimmter Möbel lange warten musste und Listen angelegt wurden, um die Kunden der Reihe nach zufriedenzustellen. Er erinnere sich lebhaft an den Fall eines Sammlers, für den er auf der Jagd nach einer Meerweibchen-Uhr war, berichtet Arians. Es habe einige Zeit gedauert, bis er schließlich in Holland fündig geworden sei.

Heute gelten selbst historische Möbel als unrentabel. Viele könne man geschenkt bekommen, aber nach einer Restaurierung ließen sie sich nicht verkaufen. „Da lohnt sich für uns nicht einmal das Benzingeld, um einen Schrank abzuholen“, sinnieren die beiden und kommen zu dem Schluss, dass „mit jedem Haus, das verschwindet, auch ein Stück Heimat verloren geht“.

Dieser betrübliche Gedanke verschwindet allerdings, als Reiner Peppelenbosch in seiner Werkstatt eine Tür nach der anderen öffnet. Hier lagern sie, die ostfriesischen Möbelschätze. Die meisten präsentieren sich noch malträtiert, viele fragmentarisch. Aber man erkennt selbst mit dem Auge eines Laien die Qualität der handwerklichen Arbeit und die hochwertigen Materialien, die geeignet sind, problemlos Jahrhunderte zu überdauern. Und natürlich begleiten Geschichten die Begehung. Hier stehen Möbel aus einem Steinhaus. Daneben ein Karussell-Pferd, dessen Fassung mehr als ein Dutzend Farbschichten aufweist, wie Horst Arians mit kennerischem Genießerblick zeigt. Dass der Kopf des Holzpferdes nur noch zu einem Bruchteil vorhanden ist, stört nicht, denn ein neues, edles Ross-Haupt ist bereits geschnitzt worden.

Stammt aus einem ostfriesischen Bauernhaus und kommt nach langer Abwesenheit jetzt restauriert wieder zurück. Reiner Peppelenbosch demonstriert, wie die Türen wieder eingesetzt werden.

Und dann gibt es da jahrhundertealte Stühle, die noch über ihre originale Bespannung verfügen. Das sei, so sagt Peppelenbosch, so extrem selten, dass er an ihnen zwar Ausbesserungen vornehmen, aber die Grundsubstanz erhalten wolle. Hinsetzen verboten! Stühle mit lichtblauer Polsterung gibt es auch – ganz edel – aus dem Haus Hannover. Und dann ist da noch ein bereits restaurierter Jugendstilschrank, dessen originale Scheiben schwungvolle passende Blumenmotive aufweisen. „Zauberhaft – nicht?“ sagt Horst Arians und blinzelt das schöne Stück versonnen an.

Getoppt wird all das aber durch einen Auftrag, den Reiner Peppelenbosch von der Ostfriesischen Landschaft erhalten hat. Es galt, einen Kabinett-Schrank aus dem Auricher Schloss der Cirksena aufzuarbeiten (KiE berichtete). „Das war bisher der tollste Auftrag, den ich erhalten habe“, versichert er. „Ich hätte nie gedacht, so etwas in die Finger zu bekommen.“ Der Korpus des mit vielerlei Intarsien belegten Schrankes war noch intakt, aber das Schmuckwerk wurde abgenommen, zerlegt, gereinigt und vollständig neu aufgebaut. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Materialien sei das ein aufwändiger, aber höchst zufriedenstellender Auftrag gewesen.

Der Kabinettschrank stand früher vielleicht im Haus Cirksena. Jetzt ist er restauriert zur Ostfriesischen Landschaft zurückgekehrt. Dr. Rolf Bärenfänger, Direktor der Ostfriesischen Landschaft, und Restaurator Reiner Peppelenbosch präsentieren das Möbelstück. Foto: Reese
Ein besonderer Auftrag für Reiner Peppelenbosch war die Restaurierung dieses Kabinettschrankes aus dem Auricher Schloss. Er präsentiert ihn hier gemeinsam mit dem ehemaligen Direktor der Ostfriesischen Landschaft, Dr. Rolf Bärenfänger. Bild: OL

Arians hat aber nicht nur mit Möbeln gehandelt. Sein unternehmerischer Instinkt umfasst den gesamten Bereich des Kunsthandwerks, dazu Bücher, aber auch besondere Stücke der Bildenden Kunst. Und immer kann er exakt einordnen, was er gekauft hat. Seine tiefgehenden Kenntnisse hat sich der Kunsthändler durch genaues Zuhören, mehr aber noch durch ununterbrochenes Lesen angeeignet. Er liest seit Jahrzehnten jeden Tag mindestens zwei Stunden. Wann er das macht? In der Mittagspause, abends, auch wohl vorm Zubettgehen. Was liest er vor allem? Ostfriesisches, Fachbücher über Antiquitäten, auch klassische Literatur. Diese Lektüre hat er immer in der Tasche, um Wartezeiten zu überbrücken – bevorzugt sind es die berühmten kleinen gelben Heftchen von Reclam. „Ist ja auch sehr praktisch. Allein schon von der Größe her.“

Seine Bibliothek ist so opulent und exquisit wie es das angesammelte Händlergut in seinem Geschäft schon vermuten lässt. In nahezu jedem Zimmer des Hauses quillt Wissen aus Folianten und Enzyklopädien, aus Landesbeschreibungen und Genealogien, aus Bio- und Monografien. Ihn interessiert eben alles – in gewisser Weise ist Arians in seinem Fachgebiet Universalist. Dieser Wissensdurst hat sich mit den Jahren des Erfahrungsgewinns zu einem dichten Netz von Kenntnissen, vor allem von Zusammenhängen kontinuierlich gehalten verdichtet. Etwas, das heute nicht mehr unbedingt auf Gegenliebe stößt, und – vermeintlich – mittels eines Winks aus dem Internet schnell und einfach zu beziehen ist. Arians kann und will das nicht nachvollziehen. Ihm ist es deutlich lieber, sein Wissen ad hoc aus dem eigenen Kopf zu beziehen – ohne technische Unterstützung. Und wenn er sich tatsächlich mal nicht erinnern kann, ist ihm seine Frau ein wertvoller Stichwortgeber.

Annegret Arians ist seit 57 Jahren mit ihrem Mann verheiratet und hat den Aufbau des Geschäftes kontinuierlich begleitet. Sie ist die Chefin im Büro, erledigt die Buchhaltung, regiert daneben souverän den Haushalt, ist kenntnisreich wie ihr Mann und hat immer auf Augenhöhe mit ihm zusammengearbeitet – betreute Messestände und Handel. „Doen deiht leren“ – das ist ihr Wahlspruch, und so haben sich die beiden in über 50 Jahren einen Namen in Ostfriesland gemacht.

Der Vater von Horst Arians war Tischlermeister, und manchmal bekam er ein schönes Stück unter die Hände, das aufgearbeitet werden musste. Die Arbeit erledigte mit solchem Sinn für die Geschichte, die Qualität und das Alter des Objektes, dass der Antiquitätenhändler Hans van Lengen aus Leer auf ihn aufmerksam wurde und ihm Aufträge zukommen ließ.

Glanzvoll: Horst Arians mit einem Kerzenleuchter, einem Unikat aus seinem Handel.

Horst Arians erlernte ebenfalls das Tischlerhandwerk, und als er 1962 als Geselle von Lemwerder an der Weser wieder nach Remels kam, übernahm er die väterliche Werkstatt für einige Jahre, da der Senior erkrankt war. Doch das Einvernehmen zwischen Vater und Sohn war – bezogen auf die berufliche Auffassung – keineswegs harmonischer Natur. Horst Arians machte sich selbständig und eröffnete am 1. Februar 1971 seine eigene Werkstatt. Er legte es umgehend an, mit hoher Qualität von sich reden zu machen. Das gelang. Das Ehepaar Arians war beruflich häufig in den Niederlanden unterwegs, nahm an Messen teil und baute vielfältige Kontakte auf. Viele holländische Händler wurden dabei zu Freunden.

Die Ausstellungsvitrinen, die Annegret und Horst Arians nutzten, um die Messestände auszustatten, stehen heute im großen Schauraum, der in Pandemie-Zeiten Treffpunkt ist, weil hier genügend Platz zur Verfügung steht. Auf dem Tisch blitzt Silberbesteck und adelt das schöne Teeservice. Der Tisch ist historisch, ebenso die bequemen, neu bezogenen Stühle. An den Wänden ticken Uhren – alle geben die exakte Zeit an. Auf einem mächtigen Schrank finden sich Krantjekannen aus Zinn. Bunt bemalte Bauerschränke sind mit passendem Geschirr bestückt. In jedem Schrank verbergen sich neue Schätze – für den, der ostfriesisches Kunsthandwerk zu schätzen weiß.

Aber man hat ja gelernt, dass hier bei den Arians „kostbar“ und „wertvoll“ Begriffe sind, die ihren eigenen Kontext beschreiben. Dazu gehört auch ein Satz, der sich leitmotivisch durch das ganze Gespräch zieht und der verdeutlicht, worum es dem Ehepaar Arians im eigentlichen Sinne geht:. „Wir verkaufen hier ein Stück Freude, ein Stück purer Freude!“