Über den Umgang mit berühmten Ahnen

Das neue Emder Jahrbuch für 2021 liegt jetzt vor. Es enthält vier lange und drei kurze Aufsätze zur ostfriesischen Geschichte. Hier soll es mittels eines Blickes in den ersten Aufsatz des 344 Seiten-Buches vorgestellt werden. Dieser Aufsatz von Dr. Redmer Alma führt ins 15. Jahrhundert und geht der Frage nach, ob ein Porträt des 17. Jahrhunderts wirklich Fokko Ukena, den Sieger der Schlacht bei den Wilden Äckern, zeigt.

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Von Ina Wagner

Aurich. 1803 schuf der Auricher Maler Tjarko Meyer Cramer ein Gemälde, das Ocko II. tom Brok (1407 bis 1435) zeigt, der 1427 nach der Schlacht auf den Wilden Äckern vor Fokko Ukena (1370 bis 1436) geführt wird. Dieses bekannte Gemälde hat das Bild des alten Häuptlings geprägt. Doch Dr. Redmer Alma hat ein anderes, fast vergessenes Porträt im Sinn, das er zur Grundlage seiner Untersuchung macht. Es befindet sich seit 58 Jahren im Fries Museum in Leeuwarden, und es zeigt einen Mann, der Fokko Ukena sein soll.

Stellten das Jahrbuch in Aurich vor: Dr. Claas Brons, Dr. Michael Hermann, Rico Mecklenburg, Dr. Paul Weßels, Dr. Reinhold Kolck und Dr. Matthias Stenger vor der Treppe zum Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft. Bild: Graber

Schon früh wurde angezweifelt, ob da wirklich der Häuptling abgebildet ist. Habit und Aussehen lassen ihn, so Alma, eher wie einen Landadligen erscheinen als einen streitbaren Kämpfer. In einer speziellen Form der Familienforschung, der forensischen Genealogie, setzt Alma dann an, die familiären Beziehungen der Ukenas, die über Fokkos Enkelin Theda zu den Stammvätern des ostfriesischen Grafengeschlechtes wurden, darzustellen – fest im Blick dabei die Geschichte des Gemäldes.

Eine Darstellung des Häuptlings Fokko Ukena? Der Autor eines der Aufsätze im neuen Jahrbuch legt ausführlich dar, wie es sich mit dem Gemälde im Fries Museum in Leeuwarden verhält.

Diese Geschichte präsentiert sich wahrhaft kurios. Das Gemälde muss – gemessen an den stilistischen Mitteln – im frühen 16. Jahrhundert gemalt worden sein. Das wäre rund 100 Jahre nach dem Tod des mächtigen Häuptlings, stellt Alma klar. In der Literatur tauche es seit 1712 auf. Doch was da im Fries Museum an der Wand hängt, wurde auf Leinwand statt auf Holz gemalt und soll aus dem Jahr 1829 stammen, eine Kopie also. Ein Jahr zuvor, 1828, hatte die Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer ebenfalls eine Kopie des ursprünglichen Gemäldes kopieren lassen – von dem Groninger Kunstmaler Berend Kunst. Dieses Bild befindet sich heute noch im Besitz der Kunst, ist aber schwer beschädigt.

Ausgehend von einer Inschrift auf dem friesischen Gemälde – „Focco Ukena van Brokum höuetling to Edermoer end Liier. Her van Aurich end Brockmerland offte Brocum.“ – steigt Redmer Alma nun in die weitverzweigte Genealogie der Familien Ukena und Ripperda ein, die er in zahlreichen handschriftlichen Stammbäumen präsentiert.

Aufgrund dieser ausführlichen Darstellung konnte der niederländische Historiker feststellen, dass „das Gemälde im Auftrag des Sweder Schele von Weleveld (1569 bis 1639), Vetter des Moritz Ripperda von Petkum, nach Vorbild eines älteren Porträts gemalt worden ist, für das vermutlich ein anderes Familienmitglied Modell gesessen hat“. Da man aufgrund der Stilmerkmale schloss, dass das Porträt des Focko Ukena unmöglich nach dem Leben gemalt sein konnte, geriet es fast in Vergessenheit, konstatiert Alma und fährt fort, dass dieses Vergessen zu Unrecht geschehen sei, „da Ursprung und Geschichte des Gemäldes noch immer die Fantasie ansprechen können und viel über den Umgang mit historischen Personen und berühmten Ahnen aussagen“.

Die weiteren Aufsätze in dem von Dr. Paul Weßels (Landschaftsbibliothek Aurich) und Dr. Michael Hermann (Landesarchiv Niedersachsen – Abteilung Aurich) lektorierten Buch:

Dr. Heiko Suhr hat über Georg von Eucken-Addenburg aus Neuharlingersiel, von 1932 bis 1942 Präsident der Ostfriesischen Landschaft, geforscht. Ausgangspunkt war die Absicht, ein Kunstobjekt für ihn zu erstellen. Bei der Untersuchung der historischen Hintergründe und der Biografie des Mannes geht Suhr auch der Frage nach, welche Rolle der ehemalige Landschaftspräsident bei der Anpassung der Verfassung der Ostfriesischen Landschaft an die NS-Maßstäbe spielte.

Gerd Rokahr befasst sich in seinem Beitrag mit den Aufzeichnungen der Luftschutz-Warnstelle
Esens während des Zweiten Weltkrieges, die im Niedersächsischen Landesarchiv aufbewahrt werden. „Auf dieser Grundlage untersucht er nicht nur die Organisation des Luftschutzwarndienstes in Ostfriesland, sondern auch Häufigkeit und Dauer der einzelnen Alarmmeldungen und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Esenser Bevölkerung“, erläutert Michael Hermann.

Unmittelbare Auswirkungen noch vor dem Erscheinen des Jahrbuchs hatte eine Untersuchung von Dr. Paul Weßels zur Krypta auf dem Kirchhof Westerende in Leer. Diese ist die Gefallenen-Gedenkstätte der Stadt Leer. Und die wollte den Pachtvertrag für den Gedenkraum nicht mehr verlängern. Die Beschäftigung Weßels mit dem Thema führte dazu, dass die Kommune ihre Entscheidung revidierte.

Die Kurzbeiträge befassen sich mit früheren und sehr arbeitsintensiven Düngemethoden in den küstennahen Moorgebieten (Professor Dr. Karl-Ernst Behre), mit den Folgen des Ausbruchs des Vulkans Tambora in Indonesien im April 1815 für den äußersten Nordwesten Deutschlands (Paul Weßels), und mit den Lebenserinnerungen von Hellmut Stimming, der als Mitglied der „Eisernen Torpedobootsflottille“ die Besetzung Emdens durch Regierungstruppen im Februar 1919 unmittelbar miterlebte (Michael Hermann).

► Das Emder Jahrbuch umfasst 344 Seiten, Auflage 1000 Stück, es kostet 30 Euro und ist im Buchhandel zu bekommen oder über die Ostfriesische Landschaft zu beziehen.
























Den Anfang macht ein Beitrag des niederländischen Historikers und Archivars Dr. Redmer Alma, der sich auf die Spuren eines Gemäldes machte, das den ostfriesischen Häuptling Focko Ukena (1370-1436) darstellen soll. Mithilfe der forensischen Genealogie entschlüsselt er die Geschichte des Bildnisses von seiner Entstehung Anfang des 17. Jahrhunderts bis zur Anfertigung einer Kopie im Auftrage der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer 1829, wobei schon damals berechtigte Zweifel geäußert wurden, ob es sich tatsächlich bei dem abgebildeten Mann um den ostfriesischen Häuptling handelte. Tatsächlich war das Bildnis jahrhundertelang Focko Ukena zugeschrieben worden, obwohl vermutlich ein anderes Familienmitglied des ursprünglichen Auftraggebers, Sweder Schele von Weleveld, Modell gesessen hatte.