Alles geheim!

Am Sonntag, 6. Juni, wird in der Johannes a Lasco Bibliothek die Ausstellung „Emder Synode 1571 – Kontexte – Akteure – Kulturtransfer“ eröffnet. Ina Wagner ließ sich vom Kurator der aufwändigen Schau durch die Räume führen und erlebte dabei ein „Emden vor 450 Jahren“.

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Emden. Der Chor der einstigen Großen Kirche ist verschwunden. Dafür dominiert nun das alte Emder Zeughaus den Raum – und das gleich deckenhoch. Der Kurator der neuen Ausstellung in der Johannes a Lasco Bibliothek, Dr. Klaas-Dieter Voß, hat das bekannte Gebäude am Falderntor, nach einem Foto auf ein Riesenformat vergrößern und auch digital gleich „zurückbauen“ lassen. „Wir haben dem Haus seine ursprünglichen Renaissancefenster zurückgegeben und das Bild farblich gefasst.“ Herausgekommen ist ein architektonisches Abbild, das den Wunsch wach werden lässt, einmal durch die ganze alte Stadt mit ihrer Vielzahl an historischen Gebäuden spazieren zu können.

Mächtiges Gebäude – auf einer Leinwand: Kurator Klaas-Dieter Voß vor der Illusion des Emder Zeughauses. Bilder: Wagner

Warum steht das Zeughaus, die spätere Stadthalle, so prominent im Mittelpunkt? Weil hier vor 450 Jahren ein Ereignis von kirchengeschichtlicher Bedeutung stattgefunden hat: die sogenannte Emder Synode von 1571, mit der die Gründung der protestantisch-niederländischen Kirche vollzogen wurde.

Es war ein Ereignis, das unter höchster Geheimhaltung organisiert und ebenso geheim durchgeführt wurde, erläutert Voß. Hier trafen sich Vertreter reformatorisch gesinnter Flüchtlingsgemeinden aus der Pfalz, vom Niederrhein, Ostfriesland und niederländische Gemeinden „unter dem Kreuz“. Das Ziel: Im Rahmen einer Synode der Vielzahl verstreuter Gemeinden eine verbindliche Ordnung zu geben, Fragen der Prediger-Ausbildung und der Diakonie zu klären und andere Angelegenheiten rund um die Strukturierung einer Kirche zu besprechen.

Warum wurde Emden als Treffpunkt ausgewählt, wo man doch eigentlich in Köln hatte tagen wollen? Der einflussreiche Philips van Marnix, niederländischer Politiker, Schriftsteller und seit 1570 in Diensten von Wilhelm I. von Oranien-Nassau, war eingebunden in die Absichten der Flüchtlingsgemeinden und empfahl – per Brief – Emden als idealen Anlaufpunkt.

Bildhübsch: schlafender Putto von einem kriegszerstörten Emder Haus, erstmals in einer Ausstellung zu sehen.

Der uneinnehmbare Hafen bot die Möglichkeit, sicher per Schiff anzureisen und die gefährlichen Landwege zu meiden. Zudem hatte die Stadt zwischen 1568 und 1570 ihre Befestigungsanlagen verstärkt, weil es nach der Schlacht von Jemgum (1568) eine Zeitlang so aussah, als wolle der siegreiche spanische Herzog Alba gleich weiter auf Emden marschieren. Das geschah zwar nicht, aber die Sicherung der Stadt zur Landseite hin wurde in einer Eilaktion in nur zwei Jahren vorangetrieben.

Emden wurde von Philips van Marnix auch deshalb empfohlen, weil die Londoner Gemeinde ebenfalls eingeladen war und Vertreter zu dem Treffen entsenden wollte. Das geschah zwar nicht, aber Emden wäre eine gut Option für eine kurze Anreise gewesen.

Unter großen Mühen in London beschafft: Kopie des einzig erhaltenen Einladungsschreibens zur Emder Synode. Hier ist die letzte Seite des mehrseitigen Briefes zu sehen.

Auch das Einladungsschreiben, das von Emden aus auf den Weg nach London gebracht wurde, unterlag den Bestrebungen der Geheimhaltung, erklärt Voß. Dem offiziellen Schrieb lag ein versiegelter Brief mit weiteren internen Angaben bei, der nur von dem geöffnet werden durfte, der als Delegierter an der Synode teilnehmen sollte. Während das Einladungsschreiben die Zeiten überdauert hat, ging der „Geheimbrief verloren oder er wurde schon vor 450 Jahren vernichtet.

Die Synode war auf den 4. bis 13. Oktober terminiert. Auch dafür gab es eine schlüssige Begründung. Klaas-Dieter Voß: „In dieser Zeit fand in Emden ein Markt statt, zu dem viele Menschen nach Emden reisten. Da fielen ein paar Fremde mehr gar nicht auf.“

Doch über alle anderen Fragen – etwa, wo die Delegierten wohnten, wann sie sich wie oft trafen, gibt es keine genauen Informationen. Selbst über die Tagung, die in den Räumen der wallonischen Gemeinde in eben jenem Zeughaus stattfand, das mit seiner dominanten Darstellung im Chorbereich der Bibliothek die ganze Ausstellung überstrahlt, ist nichts Genaues mehr auffindbar. Es wurde damals zwar ein Protokoll verabschiedet, von dem es mehrere Abschriften gibt, die aber teilweise in der Aussage differieren. Das Original taucht nach den Recherchen von Klaas-Dieter Voß in der Mitte des 17. Jahrhunderts noch einmal in den Niederlanden auf, gilt aber seither als verschollen. – Und da die ganze Veranstaltung so geheim war, lässt sich nicht einmal in den Emder Kirchenratsprotokollen ein Hinweis auf die niederländische Synode in Emden finden.

Was Wunder, dass man sich 450 Jahre später schon einiges einfallen lassen muss, um das Ereignis, das verschwiegen werden wollte, durch eine Ausstellung zu würdigen. Voß stand vor genau diesem Problem, als er mit den Vorbereitungen begann. Das Vorhaben, das er aus dem Mangel an unmittelbarem Material heraus entwickelt, ist ambitioniert. Der Kurator stellt dar, wie die Synode überhaupt zustande kam – darüber gibt es Briefe und Texte – und welche Folgen ihre Beschlüsse hatte. Zugleich soll aber auch Emden eine Rolle spielen, ebenso Städte, die – wie Emden – Flüchtlingsfamilien aufnahmen: Frankenthal in der Pfalz, Schönau, Wesel.

Mit der Schlacht bei Heiligerlee im Mai 1568 begann der 80jährige Krieg. Im Hintergrund eine zeitgenössische Waffe, eine Radschloss-Pistole.

Der achtzigjährige Krieg wird in den Blick genommen. Ein weiteres Thema sind die Gewerke, die die Flüchtlinge mitbrachten und in ihrer neuen Heimat etablierten: Buchdruck, Kornhandel, Blaudruck, Goldschmieden. Eine große Stammtafel zeigt am Beispiel einer französischen Familie, wie verzweigt die ehelichen Bande untereinander waren, wie stark man sich vernetzte und wie breit die Kontakte der Familien angelegt waren.

Zudem hält die Ausstellung auch Überraschungen bereit. So haben zum Beispiel Studenten der Hochschule Emden/Leer etwas Besonderes erdacht, um den theologischen Aspekt der Synode allgemeinverständlich zu erläutern. Und dieser Aspekt hat natürlich wieder mit der alten Stadthalle am Falderntor zu tun, wo die Synode stattfand.

Brief an den Emder Kirchenrat vom 21. März 1570, unterzeichnet unter anderem von Philips van Marnix und Casper van der Heyden, Pastor der Frankenthaler Flüchtlingsgemeinde. Inhalt ist das Werben um ein Zusammenwirken bei der Gründung einer niederländischen Kirche.

Für Klaas-Dieter Voß bot die Vorbereitung der Ausstellung nicht nur freudige Momente. Wochen – gefüllt mit endlosen Telefonaten und Schriftsätzen, Genehmigungs- und Bewilligungensverfahren – dauerte es, bis er aus dem Londoner Archiv jenen oben erwähnten Einladungsbrief übermittelt bekam, den Philips van Marnix einst von Emden aus gesandt hatte – und dann nicht als Original, sondern als Kopie. Aber auch die Veröffentlichung dieser Kopie musste vielfach genehmigt werden.

„Es war manchmal zum Verzweifeln“, berichtete Voß. Und die schwierigen Gespräche mit London seien nicht die einzigen Hürden gewesen. So wollte er zwei Deckelpokale aus Wesel für die Ausstellung bekommen. Dieser Bitte wurde nicht entsprochen, und auch die Übersendung eines kleinen Silberbechers war mit so vielen Umständen verbunden, dass Voß froh war, als alle Objekte, Bücher, Gemälde endlich in Emden angekommen waren. Und auch für die Schwierigkeiten, in Corona-Zeiten Bücher aus Groningen legal nach Emden zu überführen, fand Voß eine Lösung, die allerdings der gutwilligen Mitarbeit dreier Personen bedurfte.

Doch nun ist alles fertig, und Sonntag wird eröffnet. Allerdings hat die Pandemie die Oberhand behalten. Die Live-Veranstaltung ist abgesagt. Es gibt einen Stream, der über die Seite der Johannes a Lasco Bibliothek zu erreichen ist. Und auch die Matinée, die mit der Eröffnung verknüpft wird, ist nur am Bildschirm zu erleben.

► Eröffnung: Sonntag, 6. Juni, 11.30 Uhr. Die Veranstaltung wird eingebettet in die musikalische Sonntags-Matinée mit dem Konzert „Norddeutsche Orgelschule“. Zu erleben per Livestream. Den Link findet man auf der Seite der Bibliothek www.jalb.de.

► Die Evangelisch-reformierte Kirche organisiert anlässlich des 450. Jahrestages der Emder Synode am Donnerstag, 10. Juni, einen Festakt in der Johannes a Lasco Bibliothek. Dieser wird ab 11.45 Uhr als Livestream übertragen. Zugang über www.reformiert.de oder www.emden.de.