Die dunklen Geheimnisse des Dr. Drühl
Kunsthalle eröffnet die Ausstellung „Apokryphe Landschaften“ im Atrium
Von Ina Wagner
Emden. Sind das Berge? Wassermassen? Ein stilles Gewässer? Das sind Äste – eindeutig. Aber womit wurde das gemalt? Öl, Tinte, Tusche?
Die Arbeiten von Sven Drühl geben Fragen auf. Und das ist gewollt. Denn die Motive der vermeintlichen Landschaften, die der Künstler, Kunsthistoriker und Mathematiker da auf Leinwände bringt, sind nicht real, aber dennoch haben sie Bestand. Drühl ist zwar Landschafter, aber keiner, der mit innerer Anteilnahme im Freien sitzt und mehr oder weniger authentisch das, was er sieht, auf Leinwände bringt. Er verwendet vielmehr Hintergründe, die im Computer entstanden sind und üblicherweise als Staffagen für Spielwelten Anwendung finden. Hier sucht er passende Ausschnitte, die er dann weiter bearbeitet. Remix, ist einer der Begriffe, die er selber verwendet für das, was er tut. Und das, was er tut, subsumiert man gemeinhin unter Konzeptkunst. Dabei steht die Idee, eben: das Konzept, über der Realisation des künstlerischen Tuns. Der künstlerische Akt ist nicht mehr allein gebunden an das Handeln des Künstlers.
Und so hat auch Sven Drühl Helfer. Die Teile für seine Neonarbeiten, bei denen er nur noch die Umrisse der computergenerierten Landschaft darstellt, werden etwa von professionellen Glasbläsern vorbereitet. Auch für die Nutzung von Grafikprogrammen hat er Spezialisten, die ihm zuarbeiten. Das Malen an sich lässt er sich aber nicht aus der Hand nehmen.
Angefangen hat Drühl seine Arbeit mit Landschaften von Künstlern des 19. und frühen 20. Jahrhundert. „In Museen bin ich daran kleben geblieben“, sagt er selber. Davon ausgehend begann die Suche nach eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Das war vor rund 20 Jahren.
Erste Werke zeigen die Versuche, die Linien der Landschaft mit Silikon nachzuziehen. Zwei dieser Arbeiten sind in der Kunsthalle zu sehen. Der Umgang mit Silikon stehe zwar für einen Wiedererkennungswert. „Aber ich wollte mich nicht darauf festlegen lassen.“
Dann entwickelte er sein Konzept, virtuelle Vorlagen zu nutzen. Unterschiedliche Arbeiten hängen jetzt im Atrium – teilweise in Petersburger Hängung – also dicht neben- und übereinander -, was beim Künstler Begeisterung auslöst. So präsentiert sich Fülle. Große und kleine Formate, farbige Bearbeitungen. Dazu Lackarbeiten, Schwarz in Schwarz. Das Motiv ist hier nur noch bei bestimmtem Lichteinfall sichtbar. Aber der nur scheinbare optische Minimalismus strahlt eine ungeheure Ästhetik aus.
Seit 2019 arbeitet Drühl auch an dreidimensionalen Umsetzungen seiner schwarzen Bilder – ebenfalls mit Hilfe von Fachleuten, die ihm reale Berglandschaften in Miniatur abbilden. Doch auch hier verfremdet er, bearbeitet das Material, um den Eindruck von Kitsch zu vermeiden.
Die extremen Vergrößerungen seiner Gemälde sorgen beim Betrachter für Verwirrung, berichtet er selber. Ein Triptychon mit dem Motiv einer gigantischen Wellenbewegung wird dann schon mal für ein Bergmassiv gehalten – und umgekehrt. Diese Neutralisierung von Landschaft geht einher mit der Negierung jeglicher Bildausstattung. Bei Drühl findet man keine Menschen, keine Tiere, keine Hütten, Häuser oder Städte. So verweigert er sich jedem narrativen Element. Und die Mehrdeutigkeit der Motive schafft Irritationen, die gewollt und erwünscht sind.
Seine Ausstellung nennt Drühl „Apokryphe Landschaften“. Das bezieht sich auf die direkte Übersetzung aus dem Griechischen und bedeutet unter anderem dunkel oder verborgen. Und hier wiederum setzen Konnotationen ein, die Drühl in seinen Bildern zu einer dichten Textur verwebt, die mit mathematischer Kühle ins Bild umgesetzt wird. Drühl sieht das so: Wenn er sich schon mit der Landschaft als etwas Tradiertem beschäftigt, dann aber mit gänzlich neuen Mitteln. Und so bilden die Arbeiten des promovierten Kunsthistorikers eine zeitlose Welt ab, die sowohl außerirdisch als innerlich zu verorten wäre.
► Die Kunsthalle zeigt die Werke von Sven Drühl im Attrium des Hauses bis zum 3. Oktober.
► Parallel dazu läuft die Ausstellung „WILD/SCHÖN. Tiere in der Kunst“, die bis zum 26. September verlängert wurde.
► Als drittes Element ist bis zum 3. Oktober die Dokumentationsschau „Doing museum. Wer wir sind, was wir tun“ im Erdgeschoss zu sehen
Sven Drühl
geboren 1968 in Nassau an der Lahn
Studium: 1991 bis 1996, Kunst und Mathematik an der Universität-Gesamthochschule Essen
seit 1997: Lehraufträge und Gastvorträge
2002: erste Einzelausstellung in Leverkusen
2005: Promotion über „Der uniformierte Künstler“ in Frankfurt
2008 Stipendium Pollock-Krasner-Foundation, New York
2011 Gastprofessur für Malerei in Hangzhou
2016 Ehrenstipendiat Künstlerhaus Lukas, Ahrenshoop
– lebt und arbeitet in Berlin