Zwei Werke – zwei Welten

Das fünfte Doppelkonzert der Gezeiten fand im Theater an der Blinke in Leer statt

Von Ina Wagner

Leer. Als Haydn sein Streichquartett G-Dur op. 77/1 schrieb, da war das ein Alterswerk. Als Tschaikowski sein Streich-Sextett schrieb, hatte er gerade die Oper „Pique Dame“ beendet und litt unter der Depression seiner eigenen Phantasie.

Was macht ein Klenke-Quartett – beim Sextett um eine Bratsche und ein Violoncello verstärkt – aus diesen biographischen Vorgaben? Sie lassen den alten Haydn tanzen, singen oder auch mal sinnig werden. Und das Sextett versetzen sie in ein energiegeladenes Meisterstück – versehen es mit sommerlichem Rosenparfüm und Lavendelduft, umschmeicheln es mit schönsten Klangwirkungen und sorgen mit beiden Werken für exzellente Unterhaltung auf höchstem Niveau.

Eindrucksvolles Spiel: Annegret Klenke und Beate Hartmann, Yvonne Uhlemann und Harald Schoneweg, Ruth Kaltenhäuser und Klaus Kämper. Bilder: Karlheinz Krämer

Der künstlerische Leiter der Gezeiten, Pianist Matthias Kirschnereit, habe sich das Sextett mit dem lyrischen Titel „Souvenir de Florence“ schon lange einmal für sein Festival gewünscht, erklärte der organisatorische Gezeiten-Leiter, Raoul-Philip Schmidt, zu Beginn des Konzertes.

Und dann konnte man hören, wie das Klenke-Quartett, unterstützt von den beiden Mitgliedern des Cherubini-Quartetts, Harald Schoneweg (Viola) und Klaus Kämper (Violoncello), sich zu einer makellosen Interpretation zusammenfindet.

Das bravouröse Spiel der sechs Instrumentalisten ist ein fein gewebtes Miteinander, bei dem gleichwertige Partner sich auf hohem Niveau musikalisch unterhalten, und das in einem geistvollen Moment von Zeitlosigkeit. Tschaikowski selber schrieb an seine Gönnerin, Frau von Meck, er haben dieses Werk „ohne jegliche Mühe“ komponiert. Man mag kaum glauben, dass das so stimmte. Über die musikalische Umsetzung, wie sie das erweiterte Klenke-Quartett leistete, möchte man aber Ähnliches sagen – und weiß doch, dass auch das nicht stimmt.

Wie viel Probenarbeit mag wohl in dem kraftvollen ersten Satz gesteckt worden sein, wie viel Aufwand mit dem sehr melodischen zweiten Satz getrieben worden sein? Angemerkt hat man es den Musikern nicht – und das ist wohl das höchste Lob, das man einem solchen Ensemble zusprechen kann. Die Instrumentalisten spielten immer entspannt, locker und leicht – gerade deshalb war die Wirkung so überzeugend. Das gilt übrigens auch für den Auftakt mit Haydns Streichquartett, das von Lebhaftigkeit, Schaffenskraft und Lebensfreude spricht – und nicht von den Mühen und dem Überdruss des Alters. Es waren zwei Werke, die zwei Welten entstammten – und doch aus einem gemeinsamen Atem heraus erklangen.

Von der Zusammenstellung des Programms bis zur überzeugenden Durchführung war es ein ganz großer Abend, den die Musiker präsentierten. Und wenn dann zum Schluss ein lautes „Danke!“ aus den Reihen des kundigen Publikums auf die Bühne gerufen wurde, dann war das mehr als ein Ausdruck bloßer Erleichterung, dass – derzeit – wieder konzertiert werden darf. Das, in der Tat, wäre zu kurz gegriffen.

Cello-Momentaufnahme: Ruth Kaltenhäuser und Klaus Kämper.

Das Klenke-Quartett spielte in der Zusammensetzung: Annegret Klenke, Beate Hartmann (Violine), Yvonne Uhlemann (Viola), Ruth Kaltenhäuser (Violoncello).