Zwischen Sehnsucht und Verzweiflung

Von Ina Wagner

Reepsholt. Das war ein schweres Programm, das da am Mittwoch in der Mauritius-Kirche in Reepsholt im Rahmen der Gezeitenkonzerte erklang. Schwer sowohl für die Instrumentalisten als auch für die Zuhörer. Solch ein Programm muss man erst verdauen, und so war es auch klar, dass eine Zugabe unpassend gewesen wäre, weshalb dankenswerterweise auch keine erfolgte.

Die vier Musiker stellten sich zunächst je zu zweit vor, ehe sich dann das Klavier-Quartett formierte. Violine und Viola gaben mit Bohuslav Martinůs „Drei Madrigalen“ von 1947 einen angespannten, fast fiebrigen Kontext vor. Viviane Hagner und gaben dem Werk, das gemeinhin dem Neoklassizismus zugerechnet wird, einen Charakter von allgemeiner Zeitlosigkeit, indem sie den intendierten Zusammenhang mit der Lebensgeschichte des Komponisten in den lebhaften Dialog ihrer Instrumente zu übernehmen schienen. Ruhelosigkeit, Schmerz um eine verlorene Heimat, Verzweiflung, Sehnsucht – all das spiegelte sich in den Stücken, die eine Brücke schlugen zwischen der Form des Renaissance-Madrigals, in die das persönliche Leiden an einer politischen Situation nach dem zweiten Weltkrieg hineingegossen wurde.

Viviane Hagner, Gabriele Carcano, Eckart Runge und Karolina Errera vor dem Altar der Mauritiuskirche. Bilder: Karlheinz Krämer

Eckart Runge (Violoncello) und Gabriele Carcano (Klavier) waren die Solisten der Sonate D-Dur 102/2 von Ludwig van Beethoven, einem Spätwerk, das auf seine Art ebenso eigenwillig ist wie die Madrigale Martinůs. Bekannt ist die Aussage des Mannheimer Kapellmeister Michael Frey, die er seinem Tagebuch anvertraute, nachdem er 1815 in Wien der Uraufführung beigewohnt hatte. Er notierte: die Cellosonate sei „beim ersten Hören ohnmöglich zu verstehen“. Insbesondere der letzte Satz „Allegro fugato“ verstört in seiner disparaten, zerfetzten Form. Beethoven komponierte dieses Werk aus einer persönlichen Extremsituation heraus – und öffnete damit die Tür zur weiteren musikalischen Entwicklung. Die beiden Musiker nahmen sich des Werkes in einer Weise an, die sehr selbstbewusst mit den Schwierigkeiten der Komposition umging und sie geradezu in einen Konkon aus Ausdruck und Können einspann.

Ein Konzert als Schlüsselerlebnis – fotografisch umgesetzt von Karlheinz Krämer.

Das dritte Werk war ebenfalls eines, das Wehmut atmete und dem der Komponist selber eine „Werther-Stimmung“ zugesprochen hatte. Die Musiker gingen bei Brahms‘ Klavierquartett Nr. 3 c-Moll aufs Ganze – zarter Beginn, ausbrechende Leidenschaft, hoffnungsvolles Scherzo, hinreißendes Andante, bei dem das historische Cello von Eckart Runge eine so repräsentative Rolle spielt, und dann das Finale mit seinen Ausbrüchen und Mäßigungen. Das war grandios und ausdrucksstark gespielt. Bei aller Melancholie war das ein Abend, der sich dem Publikum nicht andiente, der aber eine Fülle starker Momente bot.

Der älteste aktive Teilnehmer des Konzertes – das Amati-Cello aus Cremona, das aus dem Jahr 1595 datiert. Eckart Runge spielt die Leihgabe des Merito String Instrument Trust Wien.