„Hier habe ich ein Zuhause gefunden!“
Pastor Jan Lüken Schmid wird am Sonntag in den Ruhestand verabschiedet
Von Ina Wagner
Emden. Es war die Tante, die Jan-Lüken Schmid auf den Berufsweg brachte. Heute steht der Pastor von fünf Mennonitengemeinden im Nordwesten auf dem Standpunkt: „Es war gut so. Und ich würde es genauso wieder machen.“
Jan Lüken Schmid, geboren und aufgewachsen in Veenhusen, studierte im 6. Semester Geschichte und Theologie für das Lehramt in Kiel, als ihm klar wurde: „Ich will alles – nur nicht Lehrer werden.“ Wäre es nach seiner damaligen Neigung gegangen, dann hätte er den Berufsweg eines Bibliothekars oder Archivars eingeschlagen. Doch die Tante, bei der er während des Studiums untergekommen war, sagte: „Studiere Theologie – und mache das gleich richtig. Geschichte kann ja Dein Hobby bleiben.“ Als sich dann noch herausstellte, dass die eigentlich vorgesehene Promotion daran scheitern würde, dass gerade an der Hochschule keine Stelle frei war, von deren Einkünften er hätte leben können, wechselte Jan Lüken Schmid nach Münster, um sein bisheriges Studium erst einmal ordentlich mit einem Staatsexamen abzuschließen.
Es waren schlussendlich verschiedene Begebenheiten, unter anderem lange Gespräche mit einem Freund, der Theologie studierte, die ihn dazu brachten, das Pastorenamt doch in den Blick zu nehmen, allerdings nicht in Schleswig-Holstein – so gerne er auch dorthin zurück wollte. Aber ihm war klar: „Als Reformierter kann man in dem nördlichsten Bundesland nichts werden.“
Also doch Münster und dann Bonn, wo Schmid unter anderem auch Vorlesungen bei Johann Friedrich Gerhard Goeters hörte. Der reformierte Theologe und Kirchenhistoriker ist Namensgeber des in Emden verliehenen Goeters-Preises, der für eine hervorragende deutschsprachige Dissertation oder Habilitation zu einem Thema der Geschichte des reformierten Protestantismus vergeben wird.
Also Theologie. Da erreichte Schmid eine Anfrage aus seinem Heimatort Veenhusen, ob er nicht predigen könne – der Pastor und seine Vertretung seien ausgefallen, und als Student der Theologie dürfe er doch auf die Kanzel steigen. „Das hat mir dann so viel Spaß gemacht, dass die Entscheidung für das Theologie-Studium endgültig gefallen war.“
Im Studium lernte Schmid seine Frau, ebenfalls Theologin, kennen, Kinder kamen, und schließlich versorgten sie – nach allerhand Zwischenstationen – gemeinsam die reformierten Gemeinden Groothusen und Visquard in der Krummhörn. Schmid aber wünschte sich eine eigene Gemeinde. Doch die Landeskirche baute gerade Stellen ab. Dann bekam er das Gemeindeblatt der Mennoniten in die Hände, wo eine Ausschreibung eingerückt war. Man suche einen Pastor, der „liberal“ sei. Darüber musste Schmid nachdenken. Immer wieder las er den Text, doch er zögerte wochenlang. Schließlich wurde es seiner Frau zu bunt. „Nun bewirb dich endlich“, brachte sie die Sache in Schwung.
Es gab sechs Bewerbungen, und Schmid war sicher: „Das war’s!“ Doch er bekam die Stelle, die er nun seit mehr als 16 Jahren betreut. Fünf Gemeinden zwischen Emden und Gronau, vier Kirchenräte, jährliche Fahrtkilometer im fünfstelligen Bereich. Es gab viel zu koordinieren. Dazu das freikirchliche Prinzip. Alles neu, alles anders. Aber sein Vertrag ließ ihm Freiheit, die er nutzte. „Die Gemeinde und ich waren nicht immer einer Meinung, aber wir können gut damit umgehen.“ Oft provozierte Schmid mit seinen Predigten. Er bekennt offen: „An diesem Sonntag lese ich dies oder jenes aus dem Evangelium heraus. An einem anderen Sonntag etwas ganz anderes. Das muss aber nicht die Meinung der Gemeinde sein.“ Manchmal gab es Diskussionen, manchmal gab er auch Anstöße und erwartete, „dass die Gemeinde die Predigt selbständig weiterdenkt“. Manchmal bekannte er zur Verblüffung seiner Zuhörer, dass auch er nicht auf alle theologischen Fragen eine Antwort wisse.
Die norddeutschen Gemeinden sind nüchtern orientiert. Das von Karl Barth verdammte Wort „liberal“ bedeutet ihnen Offenheit und Weltzugewandtheit. So hat es Jan Lüken Schmid erfahren. Und manchmal bekam er auch die Mahnung zugesprochen, er möge doch „nicht so christlich sein!“
Das Predigen bleibt seine große Leidenschaft. Dabei genügen ihm Stichworte. Das Ausformulieren ist ein Prozess, der sich im Sprechen entwickelt. Und häufig machen sich die Gedanken selbständig, und die Predigt erhält eine ganz andere Ausrichtung als eigentlich vorgesehen. Das gilt auch für das Predigen auf Plattdeutsch. „Als Muttersprachler ist mir das nicht schwergefallen“, sagt Schmid. Zunächst habe er versucht, die hochdeutsch geschriebene Predigt zu übersetzen. Doch schnell war klar, dass er besser formuliert, wenn er frei spricht. „Schließlich habe ich in Veenhusen nur Plattdeutsch gesprochen und das Hochdeutsche erst in der Schule gelernt.“ Seither predigt er immer wieder auf Platt – zu Erntedank in Leer, jeweils im Februar in Norden, sonderbarerweise nie zu Silvester.
Und weil ihm das Plattdeutsche so nahe liegt, ist Schmid auch eingebunden in ein Plattdeutsch-Projekt der Evangelisch-reformierten Landeskirche – mit viel Freunde und Spaß an der Sache. Dass er nach dem Eintritt in den Ruhestand untätig wird, ist nicht zu befürchten. Denn seine Kirche – Schmid ist Mennonit geworden – hat ihn auf ein besonderes Ehrenamt berufen. Als Vorsitzender der norddeutschen Mennonitengemeinden wird er zum Moderator von 14 Mennonitischen Gemeinden und damit eingebunden in die zukünftige Gestalt der Freikirche. Wie soll sich das Gemeindeleben entwickeln, wie die Ausbildung der Pastoren, kann man Gemeinden zusammenlegen, lassen sich Nichttheologen einbinden? Und wenn ja, wo? Das sind die Fragen, die anstehen und die alle – ansonsten autarken – Gemeinden betreffen.
In seiner Dienstzeit war ihm das Friedensgebet ein Anliegen geworden. Erstmals hatte er das nach dem Anschlag vom 11. September 2001 in Groothusen angeboten. Da die Mennoniten sich für Frieden und Gewaltfreiheit einsetzen, war es natürlich, ein solches Gebet in Emden einzuführen. In Leer konnte Schmidt das Friedensgebet in die Ökumene einbetten. Dort wird es reihum von allen Konfessionen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) veranstaltet – allerdings immer in den Räumen der Mennoniten.
Schmid ist Klassik-Fan. Auf seinen vielen Autofahrten hört er entsprechende Radiosender. Reist er mit dem Zug, wird gelesen – Biographien, Historisches, Literatur – oder gearbeitet. „Viele Predigten sind auf diesen Bahnfahrten entstanden.“ Geprägt hat ihn der niederländische Schriftsteller Maarten ‚t Hart, der in einer von strengem Calvinismus geprägten Umgebung aufwuchs und dessen Literatur von diesen Erfahrungen erzählt. „t‘ Hart hat tatsächlich mein theologisches Denken beeinflusst, und er hatte entsprechend Einfluss auf meine Predigten gehabt.“
Und zum Schluss. War die Entscheidung, mennonitischer Pastor zu werden, richtig? Ein klares Ja, ist die Antwort. „Hier habe ich ein Zuhause gefunden!“
Jan Lüken Schmid wird am Sonntagnachmittag, 15. August, in der Johannes a Lasco Bibliothek offiziell verabschiedet, im kleineren Kreis. Dann wird er auch ein letztes Mal vor seiner Emder Gemeinde – der ältesten Mennonitengemeinde Deutschlands – predigen. Von den anderen Gemeinden in Norden, Gronau, Oldenburg / Leer hat er sich bereits in den letzten Wochen verabschiedet. „Das war schön und richtig, weil ich auf diese Weise von wesentlich mehr Menschen Abschied nehmen konnte.“