Ifflands Traum
Von Ina Wagner
Emden. Das Neue Theater wird umgebaut zum „Festspielhaus am Wall“. Das Foyer ist bereits abgerissen, der Technikraum, die große Theke sind verschwunden, das Auditorium entkernt. Damit hat Kerstin Rogge-Mönchmeyer, Leiterin von Kulturevents, die Voraussetzungen schaffen lassen für eine Neugestaltung, die bis zum September 2022 verwirklicht werden soll.
Zeit, für einen Blick zurück. Denn der Umbau hat eine lange Vorgeschichte.
Kritik am Neuen Theater gibt es seit mehr als vier Jahrzehnten.1970 ursprünglich als Aula für das Johannes Althusius Gymnasium erbaut, war das Haus den Anforderungen schulischen Lebens angepasst worden. Als Theater empfahl es sich durch seine ansteigenden Ränge und durch die Zahl der Sitze. Doch schon die alte Klimaanlage war eine Belästigung, außerdem sorgte sie für mächtige Zugluft, so dass die Empfehlung erfahrener Besucherinnen immer lautete: „Bringen Sie bloß ein Schultertuch mit, sonst holen Sie sich eine Erkältung.“ So manche Veranstaltung überstand der regelmäßige Gast des Hauses dann wirklich nur mit dieser zusätzlichen, wärmenden Ummantelung.
Während die Akustik von Orchestern und Sängern stets gelobt wurde, sah es mit der Situation hinter der Bühne in den 80er Jahren tatsächlich übel aus. Die Künstlergarderoben spotteten in ihrer sterilen Schäbigkeit jeder Beschreibung. Ganz übel aber war der fehlende Bühnenraum, der dazu führte, dass so manches Tournee-Ensemble sein Hintergrundbild nur halb oder gar nicht aufbauen konnte. Am schlimmsten war das einmal bei einer Aufführung der Lortzing-Oper „Zar und Zimmermann“, als das Bühnenbild, ein prächtiges Segelschiff, nach allen Seiten nur gut zur Hälfte zu sehen war. So manches Ensemble verzichtete auf den Auftritt seines Balletts oder trat nur mit ganz kleiner Mannschaft an, weil auf der Bühne einfach kein Platz für derartige Bewegungen war. Andere drosselten das Tempo des Auftritts, um zu verhindern, dass die Tänzer bei einer schwungvollen Drehung womöglich in den Kulissen landeten oder in den Orchestergraben fielen.
Als sich die Missstände häuften, ersann der damalige Leiter der städtischen Veranstaltungsabteilung, Gottfried Iffland, einen kühnen Plan. Er wollte das gesamte Bühnenhaus erneuern und sowohl in die Tiefe wie in die Höhe vergrößern, dazu die Technik optimieren, und für die Besucher sollte es neue Stühle und Toiletten geben. Jahrelang zog Iffland mit einem Styropor-Modell seines „neuen“ Neuen Theaters durch die Lande. Damals – es war die Zeit, als die Kunsthalle errichtete wurde – stand die Kultur in der Stadt auf einem Höhepunkt – aber das Neue Theater behielt seinen altbackenen Charme – und sein zu kleines Bühnenhaus.
Es war schließlich das in Emden äußerst beliebte Opera Forum Enschede, das die Konsequenzen zog und eben damit die Dinge ins Laufen brachte. Auf dem Programm stand die Operette „Die Csárdás-Fürstin“. Intendant Peter Westerhoud war mit dem Ensemble angereist, um sich über die Situation vor Ort zu informieren. Nach der Vorstellung erklärte er kurz und bündig, man werde Emder erst dann wieder bespielen, wenn das Theater umgebaut worden sei. Man könne Profis nicht unter diesen Bedingungen arbeiten lassen.
Es dauerte fast genau vier Wochen, dann entschied die damals in Emden allmächtige SPD, das Neue Theater werde umfassend erweitert und saniert. Die FDP-Fraktion im Rat beantragte daraufhin umgehend eine Sitzung des Kulturausschusses, die dann auch bereits am nächsten Tag stattfand. Iffland war einerseits sehr zufrieden mit der Entwicklung, andererseits aber war er auf dieses Tempo nicht gefasst.
Fast genau ein Jahr später – 1988 – liegt eine Kostenschätzung vor. Der komplette Umbau würde 8,4 Millionen Mark kosten und in einzelnen Modulen vollzogen werden, um den Betrieb im Haus nicht zu stören. Dafür erhielte die Stadt ein neues Haus – Aufstockung des Foyers, Verlegung der Garderoben, Veränderung des Eingangsbereichs, Anlage zusätzlicher Ausgänge, eine neue Hinterbühne mit 15 Meter Tiefe und ein Bühnenturm, der ebenfalls auf 15 Meter erhöht würde. Sollte Ifflands Traum Wirklichkeit werden?
Wiederum ein Jahr später ist von dem Bühnenausbau nicht mehr die Rede. Man hofft auf Zuschüsse von unterschiedlichen Seiten. Der städtische Haushalt von 1990 weist keinen eigenen Etatposten aus. Der Kulturausschuss ist beunruhigt. Die Kämmerei glaubt an Zuschüsse, die den Ausbau des Bühnenhauses ermöglichen werden. Doch in Emden geht es jetzt zunächst um Veränderungen im Eingangsbereich, um den Teppich von Sol de Witt, um Möbel im Bauhaus-Stil, um Beleuchtung und Malerarbeiten. Es ist mittlerweile Dezember 1989.
Der Teppich trifft – anders als die dezent graue Bestuhlung des Saales – nicht auf die Gegenliebe der Besucher. „Psychedelisch“ ist noch eine der vornehmeren Bezeichnungen für das strenge geometrische Muster in den Emder Farben auf dem Boden des Foyers. Und auch die Bauhaus-Bestuhlung des Foyers wird kaum genutzt, weil man ohne Hilfe aus den stylischen Möbeln nur unter Schwierigkeiten wieder auf die Beine kommt.
2004 bis 2007 erfolgt eine weitere Modernisierung des Foyers und der Künstlergarderoben. Außerdem werden umfassende Brandschutzmaßnahmen durchgeführt. Vom Bühnenhaus ist nicht mehr die Rede.
Das alte Foyer ist inzwischen abgerissen worden. Es soll neu aufgebaut werden. Dazu kommen eine energetische Sanierung, Vergrößerung der Toiletten, Erneuerung der Bestuhlung bei gleichzeitiger Verringerung der Anzahl der Sitze, bessere Platzierungsmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen, Brandschutzmaßnahmen, barrierefreie Bühne und einiges andere mehr. Dazu ein neuer Name – „Festspielhaus am Wall“. Vom Bühnenhaus spricht niemand mehr. Das eigentliche Anliegen von Gottfried Iffland ist auch gut 30 Jahre nach den ersten Bemühungen kein Thema.
Von dem Bau der70er bleibt der zentrale Zuschauerraum – und hoffentlich auch die einzigen originalen Relikte aus dieser Zeit – die schönen Leuchten des Emder Kunsthandwerkers und Kunstschmieds Gerhard Schwartinsky. Ach ja, da ist noch der „psychedelische“ Teppich. Dieser erfreut sich mittlerweile großer Beliebtheit – in kleine Quadrate geschnitten, wird er für zehn Euro das Stück verkauft.