Bescheidene Beständigkeit

Der Leiter der Johannes a Lasco Bibliothek wurde mit einer außerplanmäßigen Professur gewürdigt. Was bedeutet das und welche Folgen hat es für die Bibliothek?

Von Ina Wagner

Emden. Der wissenschaftliche Leiter der Johannes a Lasco Bibliothek, Privatdozent Dr. Kęstutis Daugirdas, ist von der Eberhard Karls-Universität Tübingen mit dem Titel eines außerplanmäßigen Professors gewürdigt worden. Diese außerplanmäßige Professur vergeben Hochschulen an Wissenschaftler, die sich erfolgreich in Lehre und Forschung bewährt haben. Es handelt sich um einen Ehrentitel, den Wissenschaftler nach zweifacher Begutachtung tragen dürfen, ohne dass damit eine Planstelle besetzt oder ein Dienstverhältnis begründet wird.

Daugirdas sieht diese Würdigung vor allem im Hinblick auf die Bibliothek und die hier angesiedelte professionelle Forschungsarbeit. „Das ist eine Aufwertung, die wichtig ist, weil die Bibliothek damit einen weiteren Push erhält.“

Kęstutis Daugirdas mit einem lateinischen Brief, der ihm anlässlich seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor von Mitarbeitern überreicht wurde. Das Schreiben wird dem Ubbo Emmius als „Brief eines Verstorbenen“ zugeschrieben. Daugirdas hat sich über dieses Geschenk, das geistreich mit wissenschaftlichen Gepflogenheiten spielt, außerordentlich gefreut, wie er selber sagt. Bilder: Wagner

Daugirdas promovierte 2007 mit einer Arbeit über „Andreas Volanus und die Reformation im Großfürstentum Litauen“. Zwei Jahre später erhielt er dafür den J. F. Gerhard Goeters-Preis der in Emden beheimateten „Gesellschaft für die Geschichte des reformierten Protestantismus“. 2016 erfolgte die Habilitation in Tübingen mit der Arbeit über „Die Anfänge des Sozinianismus. Genese und Eindringen des historisch-ethischen Religionsmodell in den universitären Diskurs der Evangelischen in Europa“. Seit 2017 ist Daugirdas wissenschaftlicher Vorstand der Johannes a Lasco Bibliothek. Gerade wurde er vom Kuratorium der Johannes a Lasco-Stiftung für eine zweite Amtszeit (bis 2027) bestätigt. Die Stiftung hat zum Ausdruck gebracht, dass man auch darüber hinaus eine Zusammenarbeit mit ihm wünsche (KiE berichtete). Daugirdas habe in seiner Amtszeit Forschungsprojekte initiiert und deren Finanzierung gesichert, die noch weit in die Zukunft reichten.

Dass parallel zu diesen Entwicklungen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die zweite Phase des Forschungsprojektes „Zwischen Theologie, frühmoderner Naturwissenschaft und politischer Korrespondenz: Die sozinianischen Briefwechsel“ bis 2023 mit 600 000 Euro fördert, rechnet Daugirdas jener „bescheidenen Beständigkeit“ zu, die er als seinen persönlichen, wissenschaftlichen Ethos betrachtet. Die Anerkennung gelte aber auch dem Projektpartner der Bibliothek, der „Akademie der Wissenschaften und der Literatur“ in Mainz.

Gemeinsam wird an einer graphbasierten Edition des Briefwechsels gearbeitet. Bisher sind rund 2000 Briefe katalogisiert worden, die die Sozinianer zwischen 1580 und 1740 untereinander und mit Gelehrten anderer Konfessionen austauschten. Die erste Phase dieser Forschungsarbeit hatte die DFG mit 800 000 Euro unterstützt. Die Gutachter, die jeden Antrag ausführlich prüfen, hätten ohne Wenn und Aber für die Fortsetzung der DFG-Förderung gestimmt, sagt Daugirdas im Gespräch mit KiE. Der Sozinianismus bezeichnet eine antitrinitarische Bewegung des 16. und 17. Jahrhuderts, die den Glaubenssatz, dass der auferstandene Mensch Jesus Christus nicht nur Mensch, sondern auch Gott zugleich sein könne, für widervernünftig hält.

Er beschäftigt sich in Emden mit dem Briefwechsel der Antje Brons: Dr. Klaas-Dieter Voß.

So fließen also allein in dieses eine Projekt rund 1,4 Millionen Euro. Aber die Bibliothek hat bereits einen weiteren Antrag vorbereitet. Er betrifft den Briefwechsel der Emder Mennonitin Antje Brons und trägt den Titel „Das Ringen um Integration und Selbstbehauptung – Briefedition Antje Brons (1810 bis 1902)“. Auch dieses Projekt, das in Emden von dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Bibliothek, Dr. Klaas-Dieter Voß, in Mainz von der stellvertretenden Leiterin der Digitalen Akademie der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz, Dr. Aline Deicke, betreut wird, soll über zweimal drei Jahre laufen. Wesentlich für die umfangreiche Antragstellung war, dass die Gerhard ten Doornkaat Koolman-Stiftung eine Vorfinanzierung übernommen hat. Die Brons-Briefe, rund 660 sind inzwischen gefunden worden, stellten eine „schöne Sammlung dar, die sozial aufschlussreich“ sei, betont Daugirdas, der die Profilschärfung der Bibliothek im Ausbau der digitalen Editorik sieht.

Und da lässt sich noch weiteres anknüpfen, ist Daugirdas überzeugt und plant nun ein Großvorhaben mit bisher nicht edierten sozinianischen Handschriften, das über 21 Jahre laufen soll. Eigens für solche Akademie-Vorhaben existiert bei Bund und Ländern ein gemeinschaftlicher Finanzierungspool. Die entsprechenden Gespräche sind ab 2024 geplant und Daugirdas arbeitet bereits seit Monaten an einem programmatischen Konzept. „Es kommt uns dabei zugute, dass die DFG bereits Bewilligungen ausgesprochen hat. Man legt Wert darauf.“

Von Vorteil für die Bibliothek sei es, dass das wissenschaftliche Team in Emden eine überschaubare Größe habe. „Es ist ein kleines, feines, gut abgestimmtes Team, mit dem wir sehr beweglich sind. Zudem haben wir gute Kooperationspartner.“ In einem Punkt war aber auch die Kooperation mit Mainz überfordert, nämlich mit dem ungeheuer großen Datenvolumen, das bereits jetzt vorhanden ist. „Wir haben hier inzwischen so viele Digitalisate und so hohe Bit-Zahlen, dass selbst unsere Mainzer Partner technisch überfordert waren.“ Nun hat man ein Abkommen mit der hoch aufgerüsteten Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt getroffen – und damit eine Kooperation geschlossen mit einem Haus, dessen Leiter einst als Bibliothekar in der Emder Bibliothek angefangen hat – Professor Dr. Thomas Stäcker. „Da schließt sich wieder ein Kreis“, kommentiert Kestutis Daugirdas trocken.

Solche Netzwerke seien für die Bibliothek wichtig und „ein guter Weg, um die Profilbildung voranzutreiben“, sagt Daugirdas. Für ihn ist auch bedeutsam, dass das Forschungsgebiet auf der Schnittstelle zwischen Religion und Naturwissenschaften aus dem Rahmen fällt. Es gibt nicht viele Forschungseinrichtungen, die sich damit beschäftigen. „Und das wird von der wissenschaftlichen Community zusehends wahrgenommen.“

► Die Bibliothek konnte ihren Bestand weiter vergrößert. Der Nachlass des Systematischen Theologen Walter Kreck (1908 bis 2002) ist dem Haus übergeben worden.


Ein denkwürdiges Geschenk

Anlässlich der Ernennung zum Außerordentlichen Professor haben sich die Wissenschaftler in Emden ein ganz besonderes Geschenk für Kęstutis Daugirdas einfallen lassen: einen Gelehrtenbrief, geschrieben im Latein des 16. Jahrhunderts. In den Mund gelegt wird die Würdigung dem berühmten ostfriesischen Geschichtsschreiber Ubbo Emmius. Anbei der lateinische und der ins Deutsche übertragene Text, den der wissenschaftliche Mitarbeiter des Sozinianismus-Projektes, Dr. Michael Weichenhan, zur Verfügung stellte.

„Perlen der Gelehrsamkeit“: das auf Latein verfasste Schreiben, das Kestutis Daugirdas zur Ernennung überreicht wurde.

Der originale Text

“Kestudi Daugirdati viro humanissimo et clarissimo salutem plurimam dicit Ubbo Emmius Grethanus

Dabis veniam, vir clarissime, quod minime novo, sed temporibus tuis inusitato et mirabili litterarum genere te compellare ausus fuerim pietate amoreque fraterna adductus, genere nempe νεκρικῶν ἐπιστολῶν epistolarum mortuorum. Quanta voluptate me affecerint studia tua de rebus Socinianorum gestis dicerem, si aliquem caperet modum voluptas nostra. Patriam meam, Frisiam carissimam, magaritis humanitatis ornabas, ut vigeant studia, florescant ingenia, bibliotheca Emdana copiis librorum abundet, litterarum maiorum editiones in lucem proferant.

His diebus autem pro meritis tuis coronaris, non regio insigni ornaris, auro, argento, gemmis, sed laureatum caput tuum ramis honoris, nitoris et splendoris oculos effugientis exornatum est. Gratulamur tibi de tanto honore. Diximus et iterum dicimus: Quantum gaudium nos affecerit tanta dignatio, diceremus, si gaudium nostrum aliquem modum caperet.

Bene vale, vir clarissime et amplissime.

Emdae, prid. Kal. Iul. MMXXI”



Die Übersetzung

Ubbo Emmius an Kęstutis Daugirdas

Dem sehr gelehrten und hochberühmten Kęstutis Daugirdas sagt Ubbo Emmius aus Greetsiel seinen Gruß

Du, Hochberühmter, wirst wohl Nachsicht üben, wenn ich mich an Dich mit einer zwar keineswegs neuen, aber in Deinen Zeiten unüblich gewordenen und seltsam erscheinenden Gattung zu wenden erdreiste, angestachelt von Ehrfurcht und brüderlicher Liebe, und zwar der Gattung „Lettres des morts„, „Briefe von Verstorbenen“. Welches Glück ich bei Deinen Studien über die Geschichte der Sozinianer empfinde, würde ich ausdrücken, wenn dieses Glück denn ein Maß hätte! Meine Heimat, das mir so außerordentlich teure Friesland, hast Du mit Perlen der Gelehrsamkeit zu schmücken begonnen, so dass die Studien erblühen, die Geister sich regen, die Bibliothek zu Emden an Büchern überreich zu werden beginnt und die Schriften der Vorfahren ediert werden.

Nun aber wirst Du für Deine Verdienste gekrönt, nicht mit den Zeichen eines Königs versehen, mit Gold, Silber oder Edelsteinen, sondern das lorbeerumkränzte Haupt schmücken Zweige der Ehre, eines strahlenden Glanzes, der sich dem Anblick der Augen entzieht. Wir wünschen Glück bei solcher Ehre. Wir sagten es und sagen es wieder: Welche Freude uns diese Ehrung bereitet, würden wir in Worte fassen, wenn unsere Freude ein Maß hätte.

Leb wohl, hoch berühmter und hoch angesehener Mann.
Emden, 30. Juni 2021

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