Mitten hinein in des Dichters Leben

Emden. Wenn Hermann Wiedenroth liest, dann kann man allerhand erwarten. Das hat er in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. In diesem Fall ging es in der Johannes a Lasco Bibliothek um das Alterswerk des Humoristen Wilhelm Busch (1832 bis 1908). Das verhieß Amüsantes. Und wenn der Titel der Veranstaltung dann noch „Wilhelm Busch zum Vergnügen“ heißt, dann kann es ein Publikumsrenner werden. Wurde es auch. 85 Gäste versammelten sich in der Bibliothek – überzeugende Resonanz für einen launigen Abend.

Und Wiedenroth – geschult im Vortrag und seinen unterhaltsamen Erfordernissen – legte auch gleich los – mit dem ersten langen Gedicht über die Binnenansichten eines Dichters. „Balduin Bählamm, der verhinderte Dichter“ – ein langer Monolog über die Poesie, die mit den Worten endet:
„O, wie beglückt ist doch der Mann
wenn er Gedichte machen kann.“

Die beiden Vorsitzenden des JaLB-Freundeskreises, Harald Groenewold und Klaus Frerichs, mit dem Antiquar Hermann Wiedenroth, der eine Buchstütze mit einer Busch-Collage in Händen hält. Bild: Wagner

Solchermaßen mitten hinein in des Dichters Leben und Auffassung gestürzt, erwartete das Publikum gespannt die weiteren Altersweisheiten Buschs. Und die 85 Anwesenden gingen, beständig glucksend ob der vielfach ach so beglückt unkonventionellen Knittelverse des Herrn Busch, begeistert mit. Denn nun sprach der Dichter tatsächlich über sich selber. Zweimal, so erläuterte Wiederroth in seiner kommentierenden Lesung, sei das geschehen – als Reaktion auf Zeitungsberichte. Ansonsten habe sich Busch als sehr zurückhaltend erwiesen.

Wiedenroth beschränkte sich – und das machte die unterhaltsame Art seines Vortrags perfekt – auf Details und sprechende Aspekte des Dichterlebens. Nicht die Biographie in ihrer Gänze, nicht jede Regung des Dichters wird aufgetischt, sondern das Besondere, Ungewöhnliche, Bezeichnende. So etwa das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Der ganz junge Busch wird aus dem Haus zum Onkel gegeben und kehrt erst Jahre später wieder zurück. Und die Mutter erkennt ihn nicht. „Eine Tragödie sei dies gewesen“, kommentiert Wiederroth – versucht aber gar nicht erst, tiefenpsychologischen Aspekte dieses für den Jungmann Busch verstörende Erlebnis zu erläutern. Er stellt stattdessen dem realen Fakt eine Beobachtung des malerischen Werkes Buschs gegenüber. Busch habe seine Mutter nur ein einziges Mal zeichnerisch dargestellt – von hinten. Braucht’s da noch weitere Erklärungen?

Doch es geht auch anders. Busch war auf Reisen und kam in Antwerpen bei sehr einfachen Leuten unter. Diese schenkten ihm eine rote Jacke, die fürderhin als „Rotjacke“ auf vielen Bildern des Doppeltalentes wieder auftaucht. Eine Form von Dank „an die lieben Leute“, interpretiert Wiedenroth, ohne auch hier auf weitere Erklärungsmuster einzugehen.

Ein Höhepunkt des Vortrags war ohne Zweifel Wiedenroths Lesung von „Max und Moritz“ in unterschiedlichen Dialekten. Nicht nur hamburgisch, kölnisch, hessisch oder bayerisch, sondern auch österreichisch und im Pennsylvania Dutch beglückte der Antiquariatsbuchhändler aus Bargfeld die Anwesenden. Er hatte auch die „Lautsonate“ von Gudrun Schury dabei, eine Collage aus lautmalerischen Begriffen, die in den Gedichten Buschs auftauchen. Ein herrliches Vergnügen!

Aber auch ein Gedicht über des Dichters Lieblingsessen – Pfannkuchen und Kartoffelsalat, über die Beschreibung der bürgerlichen Ehe, den Darwinismus und über seinen Lebenslauf war zu hören. Wilhelm Busch war eingangs vom Vorsitzenden der „Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek“, die zu dem Abend eingeladen hatten, als ein Gescheiterter charakterisiert worden. Harald Groenewold erinnerte an das abgebrochene Kunststudium, die finanzielle Abhängigkeit von den Eltern, den erfolglosen Versuch, sich als Kunstmaler zu etablieren, an das Leben als ungewollter Junggeselle. Wahrlich ein bedenkenswerter Einstieg, der sich allerdings im Vortrag des Hermann Wiedenroth nur gedämpft wiederfand. Wilhelm Busch bleibt eben in seinem kuriosen Werk ein Unikat von künstlerischer Tiefe und Reife.