Über das Deutschsein

Emden. Da kam thematisch vieles zusammen: biographisches, gesellschaftliches, politisches, literarisches, sprachwissenschaftliches, geografisches, nicht zuletzt – märchenhaftes – Leben. Dass die Brüder Wilhelm und Jacob Grimm in vielen Bereichen tätig waren, ist bekannt. Wie man dieses reiche Schaffen jedoch auf gut zwei Stunden zusammenschnurrt und damit zugleich in kluger Weise würdigt, das zeigte Michael Ehnert mit „Grimms sämtliche Werke … leicht gekürzt“. Die Aufführung fand am Dienstag (19. Oktober) in der Nordseehalle vor – leider – sehr wenig Publikum statt.

Man spricht oft pauschalisierend davon, dass auf der Bühne ein „Feuerwerk“ gezündet wurde. Nein, so war es nicht. Dafür waren die Texte doch zu tiefsinnig und mit zu vielen Hintergrundinformationen gespickt. Kristian Bader, Jan-Christof Scheibe und Michael Ehnert boten ein Programm durchaus mit Temperament, aber ohne Schnickschnack an. Auf der Bühne: drei Sessel, die nicht nur als Sitz Verwendung fanden, zwei Garderobenständer mit ein paar Requisiten. Ach ja, und dann waren da die drei Protagonisten auf der Bühne, alle gleich neutral gekleidet im hellen Anzug und schwarzem Hemd.

Die Drei stellten eine Vielzahl von Personen da, jedoch war der Wechsel derart fließend, dass man schon aufpassen musste, ob da Wilhelm Grimm sprach oder Clemens von Brentano, Jacob Grimm oder Achim von Arnim. Dazu kamen die Rollen von Mutter oder Vater Grimm, Jenny von Droste zu Hülshoff oder der brutale „Pädagoge“ Johann Georg Zinkhan. Andeutungen genügten – sowohl verbal als auch vom Equipment her. Deutlich erkennbarer waren da die eingestreuten Märchenrollen, denn da kamen die Requisiten – sparsam – ins Spiel: Krone, Perücke, übergeworfenes Kleid. Das musste genügen.

Schlaglichtartig wurden Leben und Werk der Brüder beleuchtet. Wie mit dem Brennglas traten einzelne Episoden vor Augen, und wie mit dem Scheinwerfer wurden Befindlichkeiten ausgeleuchtet. Dazu kamen immer wieder musikalische Einsprengsel als Begleitung oder eigenständiger Song – mal jazzig abgemischt, mal klangfein in Szene gesetzt und präsentiert von Jan-Christof Scheibe.

Insgesamt bekam man ein Bild von den Brüdern Grimm, das weniger erheiternd als ernüchternd war. Mitten in der unruhigen Zeit der territorialen Kleinstaaterei fragen sie nach dem „deutschen Wir“, nach der Freiheit der Sprache, nach dem sittlichen und pekuniären Wert ihrer Märchensammlung. Am Ende steht dann kein Punkt, sondern das wage Semikolon – und die Frage: „Warum ist es so schwer, über das Deutschsein zu sprechen?“

In überzeugender Weise verquickte und verwickelte Ehnert die Werkinhalte, die Zeitgeschichte, die Biographie mit- und ineinander, scheute keine brisanten Themen – Hitler, Flüchtlingsbewegungen – und vermengt Comedy, Fantasie und Drama zu einem anspruchsvollen Ganzen.

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