Nichts als Bücher

4. Teil

Emden.
Das Buch hat heute immer noch einen hohen Stellenwert. Daher sind Empfehlungen für bestimmten Lesestoff eine Leidenschaft der Mitglieder der „Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek“. Vorstandsmitglied Klaus Frerichs (JaLB) sammelt diese zumeist kurzen Empfehlungen und veröffentlicht sie in regelmäßigen Abständen – als Tipp von Mitgliedern für Mitglieder. Da diese Empfehlungen ein höchst spannender und unterhaltsamer Gang durch die Literatur- und Sachbuchszene sind, sollen sie nun in der Vorweihnachtszeit einem größeren Kreis zugängig gemacht werden. Mitarbeiter der Johannes a Lasco Bibliothek (JaLB) schließen sich dem kleinen Projekt an.


Dr. Dagmar Bronner (Emden, JaLB) empfiehlt: Jane Austen „Stolz und Vorurteil“, übersetzt von Andrea Ott, Penguin Verlag, ISBN 978-3-328-10166-6, 640 Seiten, 10 Euro (nur als Beispiel, es gibt noch andere deutsche Ausgaben; wer kann und mag, der/dem sei das englische Original empfohlen)

Eine leichte Lektüre mit bitteren Untertönen: Jane Austens „Pride and Prejudice“ von 1813, ein mehrfach verfilmter Klassiker der englischen Literatur, kann als Kitschroman auf hohem Niveau bezeichnet werden. Es handelt sich um eine Liebesgeschichte mit einigen Irrungen und Wirrungen, die schließlich zu einem glücklichen Ende führen. Im Mittelpunkt steht die 21-jährige Elizabeth Bennet, zweite von fünf Schwestern aus einer Familie der gehobeneren Gesellschaft, deren Status jedoch nicht gesichert ist. Die Autorin präsentiert ein Tableau von mal mehr, mal weniger sympathischen und auch einigen recht anstrengenden Charakteren, die mit einer gehörigen Portion Ironie betrachtet werden. Dem reinen Kitsch enthoben wird der Roman durch den kritischen Blick auf soziale Verhältnisse, in denen Frauen gesellschaftliche Anerkennung nur durch die Ehe finden und eine „gute Partie“ gegebenenfalls der einzige Weg ist, vor der Armut bewahrt zu werden.


Norbert Tillmann (Emden) empfiehlt: Ervin Laszlo: Das fünfte Feld, Bastei Lübbe, ISBN 978- 3-404-60477-7, 285 Seiten, nur noch antiquarisch lieferbar, Preis je nach Zustand des gebrauchten Buches.

Was bedeutet das, das fünfte Feld? Ein seltsamer Titel für ein Buch, das sich mit der Entwicklung der Wissenschaft befasst und sie einbettet in die philosophische Deutung der jeweils gewonnenen Erkenntnisse. In einer Sendung des Deutschlandfunks: die Lange Nacht, hörte ich ein Gespräch mit Ervin Laszlo. Dabei ging es um die Frage, was wir eigentlich wissen von der Welt, der Materie, vom Kosmos, und schließlich ging es um Perspektiven für die Zukunft auf der Basis des aktuellen Wissensstandes. Es war für mich faszinierend, seinen Gedanken zu folgen und besorgte mir sofort dieses Buch, auf das er sich bei seinen Ausführungen bezog. Das fünfte Feld ist ein Energiefeld jenseits der vier Energiefelder: Gravitation, elektromagnetische Energie, leichte Atomkraft und schwere Atomkraft. Und das fünfte Energiefeld? Es ist mit den herkömmlichen physikalischen Methoden nicht messbar, jedoch überall wirksam. Wie sieht es aus, wie und was bewirkt es, welche Folgen hat es für unser Weltverständnis? Es ist spannend geschrieben, auch für den Laien einigermaßen gut verständlich und – darum geht es mir – es reißt einen Vorhang beiseite und öffnet einen ungeheuren Einblick in unser Dasein. Kritiker räsonieren: Ist ja nicht messbar. – Genau!


Dr. Klaas-Dieter Voß (Emden, JaLB) empfiehlt: Wilhelmine Siefkes „Erinnerungen“, Schuster Verlag Leer, ISBN: 978-3-796-30115-5, 223 Seiten, gebunden, 18,90 Euro

Erst im hohen Alter entschloss sich die ostfriesische Schriftstellerin Wilhelmine Siefkes (1890–1984) auf Drängen von Freunden, ihre Autobiografie zu veröffentlichen. Sie berichtet darin von fernen Kindertagen im Kaiserreich, von den Erfahrungen als junge Lehrerin, ihrem Engagement in der Politik zur Zeit der Weimarer Republik, ihrer kulturellen Arbeit und ihrem literarischen Schaffen. Sie thematisiert aber auch ihr Dasein im Schatten des Dritten Reiches. Weil sie sich weigerte, sich zu einem Gesinnungsgenossen der Nationalsozialisten zu machen, wurde sie nicht nur vom Schuldienst suspendiert, sondern auch mit einem Schreibverbot belegt. Ihr biographisches Werk ist darum hierzulande zugleich eines der wenigen Zeugnisse vom „Leben in der Unfreiheit des Naziregimes“. 1979 traf sie damit den Nerv der Zeit. Ein seinerzeit in der OZ veröffentlichter Leserbrief, mit dem versucht wurde, das neu erschienene Buch zu diskreditieren, erreichte genau das Gegenteil seiner eigentlichen Intention. In einer mit den Worten „Von Herzen gegen Blut und Boden“ übertitelten Gegendarstellung verteidigte der Journalist und Schriftsteller Berndt Wessling (1935 bis 2000) Wilhelmine Siefkes und bezeichnete ihr schriftstellerisches Gesamtwerk als Gegenpol zu der latent vorhandenen neochauvinistischen Sicht in der niederdeutschen Literaturszene. Auch mehr als vierzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen hat das Buch nichts von seiner Aussagekraft eingebüßt. Eine teils durchaus beschauliche, teils aber auch spannende Lektüre für die Zeit zwischen den Jahren!


Rolf Obst (Aurich) empfiehlt: Geert Mak „Große Erwartungen – Auf den Spuren des europäischen Traums“, Siedler Verlag, ISBN:978-3-827-50137-0, 640 Seiten, 38 Euro

Wieder (!) ein empfehlenswertes Buch des niederländischen Publizisten und Historikers! Von den Küsten Lampedusas bis zu Putins Moskau, vom störrischen Katalonien bis zu den muslimischen Vororten Kopenhagens beschreibt er den fast gescheiterten europäischen Traum von Frieden, Freiheit und Wohlstand, der immer mehr zum Alptraum wird. Es gelingt Mak, das fragile Wesen Europas zu ergründen, in zahllosen Geschichten sichtbar und sinnlich wahrnehmbar zu machen. Es ist ein kritischer Blick auf die letzten zwei Jahrzehnte (eine Krise jagt die andere) und auf das heutige Europa am Rande des Abgrundes, nicht nur wegen des verstärkten Nationalismus, sondern auch wegen des Zauderns und letztlich der Unfähigkeit, gemeinsam auch harte Entscheidungen zu treffen. Trotz des Umfangs sehr lesenswert, weil nicht trocken, sondern lebendig erzählte Geschichte.


Und ein Hörbuch

Dr. Michael Weichenhan (Emden, JaLB) empfiehlt: Homer „Odyssee“, gelesen von Christian Brückner. Parlando-Verlag. ISBN:‎ 978-3-941-00468-9 oder (als Download) ISBN: 978-3-7324-7029-7, 18 Stunden, 19,95 Euro.

Wer wird heute noch die 24 Gesänge der Odyssee lesen? Vielleicht aber sich vorlesen lassen – von der unaufdringlichen und etwas melancholischen Stimme Christian Brückners. Das Hörbuch, das vollständig die großartige Neuübersetzung wiedergibt, die der Altphilologe Kurt Steinmann vor nicht all zu langer Zeit vorgelegt hat, holt das antike Epos dorthin zurück, wohin es gehört: Nicht als Schrift vor die Augen, sondern als Sprache vor die Ohren. Die „Odyssee“, für mich persönlich nach wie vor eines der schönsten, ergreifendsten und weisesten Bücher, die ich kenne, entführt in die scheinbar fremde Welt der Warlords des 8. Jahrhunderts vor Christus, aber es erzählt in einer Mischung aus Märchen und Abenteuerroman von all dem, was uns doch immer vertraut ist: das Leben, das durchzogen ist von Treue, Eifersucht, Brutalität, Verblendung, Heimtücke, Verzweiflung und Liebe, das Leben, das immer wieder zu scheitern droht und sich trotzdem auf wunderbare Weise erhält. Dem kann man stundenlang zuhören.