Sichern und Bewahren

Emden. Die Johannes a Lasco Bibliothek bietet Kirchengemeinden in Ostfriesland einen besonderen Service an. Sie übernimmt deren Alt-Archive, um historische Kirchen-, Kirchenrechnungs- und Urkundenbücher, Sterberegister, Tauf- oder Ehelisten, aber auch Schulakten dauerhaft zu sichern und zu bewahren. Bislang übernommene Archive sind die der reformierten Gemeinden Borssum, Jemgum, Marienchor und Böhmerwold.

Dr. Klaas-Dieter Voss mit dem Archivgut, das er aus Jemgum abholte und das jetzt in den Bestand der Bibliothek eingearbeitet wird.

Schon vor Jahren kamen die Kirchenbücher aus Jemgum ins Haus, jetzt gab es aus dem Rheiderland die Anfrage, ob Interesse an weiteren Archivalien, unter anderem auch der Schulakten bestünde. Die Kirchen hatten über Jahrhunderte auch die Schulaufsicht vor Ort, entsprechend umfangreich ist die Aktenlage. Die Dokumente, die das schulische Leben im Rheiderland betreffen, datieren vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert. Sie sind nicht nur aus genealogischen Gründen interessant, sondern können auch aufgrund ihres Detailreichtums für die Wissenschaft ein Fundus vielfältiger Recherchen sein.

Zu den Archivalien gehören unter anderem auch sogenannte Schulkataloge. Das sind Unterlagen, die in Frage-Antwort-Form Ergebnisse der jährlichen Schulinspektion festhalten. Namenslisten der jeweiligen Schüler finden sich darin ebenso wie Anmerkungen zum Betragen der Kinder und Beurteilungen ihrer schulischen Leistungen. Ab und an entdeckt man in den Papieren auch einen Stundenplan, so wie jenen von 1873, der auch das Fach „Turnen“ erwähnt. Aber auch das Verhalten der Lehrer ihren Schülern gegenüber, die Art des Lernstoffs und seine Vermittlung werden abgefragt.


Von außen unscheinbar – ein Schulkatalog von 1855 bis 1856. Das ist ein Papier, das in Frage-Antwort-Form Ergebnisse der jährlichen Schulinspektion festhält.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Bibliothek, Dr. Klaas-Dieter Voß, fand im Aktenbestand unter anderem Kirchenrechnungsbücher vor, von denen das älteste im Jahre 1600 in Jemgum angelegt wurde. Verständlich, dass er kurz Einblick nahm und bereits beim ersten Hinsehen einige überraschende Details entdeckte, die ein spannendes Licht auch auf Abläufe beim Berufungsverfahren eines Pastors warfen.

So reiste am 23. Dezember 1600 der reformierte Jemgumer Kirchenrat nach Emden, um mit dem dort amtierenden Pastor Menso Alting (1541 bis 1612) über die Besetzung der Pfarrstelle zu reden. Die reformierten Rheiderländer wollten nämlich aus bisher unbekannten Gründen unbedingt einen lutherischen Pastor aus Völlen ins Amt berufen. Sie machten sich auf, um, wie es im Rechnungsbuch heißt, „met Mensoni to spreken“. „Der Emder Pastor war seinerzeit Vorsitzender des Coetus und war darum in diesem Falle auch zuständig“, erläutert Klaas-Dieter Voß.


Noch Schulkatalog, dieser datiert von 1847/48: rechts die erste Seite, auf der letzten Seite die Namen der Schüler.

Im Nachgang der Emden-Reise reichte der Kirchenrat eine Abrechnung in Höhe von zwei Gulden, vier Stübern und 13 Witten ein, die für die Reise, für Unterkunft und Verpflegung ausgegeben wurden. Auch diesen Hinweis kann man den in feiner, fast verblasster Schrift geschriebenen Notizen im Kirchenrechnungsbuch entnehmen.

Historische Bagatellen, die doch den ein oder anderen Blick in die damaligen Verhältnisse gewähren, finden sich in großer Zahl. So heißt es in dem ältesten Kirchenrechnungsbuch von 1600, dass man am 18. Januar 1601 „tho Embden eijn boock pampijr gekofft om thor Karcken besten tho beschriuem kost 6 Gul: 3 Sch:“ Man habe also für sechs Gulden und drei Schilling in Emden Papier für die Verwaltung der Kirchengemeinde gekauft.

Ein weiterer Eintrag belegt, dass dieser Ankauf in Emden nicht der einzige war. Denn schon am 10. November 1600 wurde ein Buch aus acht Lagen Papier gekauft und mit Vergoldungen und Seidenbändern eingebunden. Dabei dürfte es sich um das besagte älteste Kirchenrechnungsbuch von 1600 handeln. „Von der Vergoldung und den Seidenbändern ist heute allerdings nicht viel geblieben“, stellt Klaas-Dieter Voß fest.

Diese November-Reise sei im Übrigen wegen einer Supplikation, also wegen eines Bittgesuchs, unternommen worden. Man sei damals im Haus von Johan Tonijes am Neuen Markt eingekehrt und habe für das Essen acht Schaf und zwei Witten gezahlt. Da aber so viele betrunkene Leute anwesend gewesen seien, hätten die Reisenden sich entschieden, in der Gaststätte „Gans“ zu übernachten. In Oldersum war das Eis der Ems gebrochen, so dass die Überfahrt ins Rheiderland anschließend von dort aus erfolgen konnte.

Die Unterschrift Friedrichs des Großen unter jener Konzession, die es den Bewohnern des Landschaftspolders erlaubte, eine eigene reformierte Kirchengemeinde zu errichten.

Die Akten aus Jemgum, Marienchor und Böhmerwold werden derzeit in den Archivbestand eingearbeitet. Und obwohl das eine zeitaufwändige Arbeit ist, ist die Bibliothek gewillt, weitere Bestände aufzunehmen, um eine Zentrierung zu erreichen, die es ermöglicht, an einer Stelle mit möglichst vielen Archivalien wissenschaftlich arbeiten zu können.

Diese Absicht wird vertieft durch die Aufnahme von Akten und persönlichen Archiven verstorbener Theologen, Kirchenhistoriker oder Hochschulprofessoren. Diese werden zumeist als Nachlass von Familienmitgliedern angeboten, weil man die Archivalien in der Johannes a Lasco Bibliothek sicher geborgen weiß.

Im Bestand des Archivs befindet sich auch ein Kirchenrechnungsbuch aus der reformierten Kirchengemeinde Landschaftspolder. Enthalten ist darin ein Dokument, das für die Geschichte der Kirchengemeinde von besonderer Bedeutung ist. Es handelt sich um die Konzession Friedrich des Großen vom 22. Juni 1765, der den Einwohnern des Polders erlaubte, eine eigene Kirchengemeinde errichten zu dürfen. Bis dahin waren sie Mitglieder der Kirchengemeinde in Bunde gewesen. Der „Alte Fritz“ war es schließlich, der die Initiative zur Einpolderung der Ländereien und die Ansiedlung der ersten Erbpächter in Angriff genommen hatte. Aus diesem Grunde wurde der Polder vor dem Ankauf durch die Ostfriesische Landschaft auch als der „Preußische Polder“ bezeichnet.

► Kontakt: Dr. Klaas-Dieter Voß, Johannes a Lasco Bibliothek, Kirchstraße 18, 26721 Emden, Tel. 0 49 21 / 9 15 00, Mail: www.jalb.de

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