„Ich bin ein Weltbürger“

Pianist Haiou Zhang (37) spielte das 2. Konzert des „Musikalischen Sommers in Ostfriesland“ mit den „Chamber Players“ des WDR-Sinfonieorchesters in der Kirche zu Sillenstede. Der Sprecher des Festivals, Karsten Gleich, hatte nach dem Konzert Gelegenheit, sich mit dem Musiker, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt und in Hannover wohnt, zu unterhalten.

Von Karsten Gleich


MUSIO: Herr Zhang, fühlen Sie sich schon als Wahl-Niedersachse oder ist Hannover nur der verkehrsgünstige Ausgangspunkt für ihre weltweiten Konzerttourneen?

Haiou Zhang: Tatsächlich ist meine Wohnung in Hannover eher ein Hotel für mich, da ich so selten zuhause bin. Nach so vielen Jahren, kennt man natürlich die Stadt, hat seine Lieblingsorte, an die man gerne geht und hat viele Freunde, die hier leben. Aber mein Leben findet überall statt. Ich bin nicht sehr ortsgebunden, sondern eher ein Weltbürger.

Partner des Pianisten bei Glinkas „Großem Klavier-Sextett“: die „Chamber Players“ des WDR-Sinfonieorchesters. Bilder: Karsten Gleich

Die Nordseeküste ist für Sie kein musikalisches Neuland. Die Fans des Musikalischen Sommers kennen Sie spätestens seit 2019. Wissen Sie noch, was Sie damals in der Victorburer Kirche gespielt haben?

Mein Debüt gab ich beim Musikalischen Sommer im Jahr 2019 mit dem Deutschen Kammerorchester Berlin. Wir haben damals unter anderem Mozarts Klavierkonzert Nr. 9 Es-Dur KV271 gespielt und wurden dafür vom Publikum frenetisch gefeiert. Letztes Jahr war ich mitten in der Pandemie mit einem Klavierabend zu Gast in Ostfriesland. Das Konzert stand in Zusammenhang mit meiner neuen CD, die den Titel „My 2020“ trägt und Werke von Bach und Beethoven umfasst.

Es war atemberaubend zu beobachten, in welcher Form und Geschwindigkeit in Sillenstede ihre Finger bei Mikhail Glinkas „Großem Klavier-Sextett“ über die Klaviatur flogen. Ist ein solches Stück selbst für einen Starpianisten wie Sie eine Herausforderung?

Sagen wir mal so, es ist nicht ganz einfach. Es ist zwar Kammermusik, aber vom Inhalt her ein ordentliches, romantisches Klavierkonzert, das fingertechnisch und kompositorisch einem einiges abverlangt. Glinka, auch als Vater der russischen Musik bezeichnet, ist sehr bekannt. Sein „Großes Klavier-Sextett“ hingegen ist über die Jahre etwas untergegangen. Ich habe es 2019 für mich neu entdeckt.

Spielte in Sillenstede: Pianist Haiou Zhang

Was faszinierte Sie so an dem Stück?

Es ist wunderschöne Musik mit einer schönen Hintergrundgeschichte. Ein Werk, das er in seinen jungen Jahren geschrieben hat, in Italien am Lago Maggiore, wo Glinka sich seit 1830 aus gesundheitlichen Gründen aufhielt. Er war verliebt in die verheiratete Tochter seines Arztes, für die er das Stück schrieb. Diese Frische und Lebensfreude strahlt jeder Takt aus. Gewidmet hat er das Stück aber schließlich einer Freundin seiner heimlichen Geliebten, um sie nicht zu kompromittieren. Nach dem Werk – es war Glinkas letztes Kammermusikstück – packte er seine Koffer und ging zurück nach Russland und komponierte nur noch Opern.

Wohin geht es für Sie nach dem Konzertabend in der 2000-Seelen-Gemeinde Sillenstede?

Erstmal steht mein eigenes Festival, das International Music Festival Buxtehude und Altes Land auf dem Plan, das Dieter Klar und ich 2010 gegründet haben. Es beginnt Ende August und geht bis Mitte September. Das werden gut zweieinhalb Wochen voller Konzerte.

Können Sie sagen, ob bei der 13. Auflage Ihres International Music Festivals das Ziel bereits erreicht wurde, klassische Musik jungen Menschen näherzubringen?

Ja, das können wir sagen. Wir haben mehrere größere Schulkonzerte und immer wieder für jüngere Menschen interessante Künstler, wie zum Beispiel in diesem Jahr ein spannendes Schlagzeug-Quartett aus Estland dabei. Inzwischen kommen jedes Jahr über 1000 junge Menschen in unsere Konzerte.

Wie lautet das Erfolgsrezept?

Ich möchte junges Publikum nicht nur mit leichter Kost versorgen, sondern auch mit schwierigen Stücken. Es geht nicht darum, dass alle die Musik verstehen, sondern das sie es erst einmal hören und erleben und dann vielleicht später im Leben auf den Geschmack kommen und tiefer einsteigen. Es geht darum es erst einmal zu hören!

► Das Konzert wurde vom NDR mitgeschnitten und wird voraussichtlich am 10. Juli auf NDR Kultur zu hören sein.