Prachtstücke mit Suchtpotential

Gezeitenkonzerte gastierten in der Martin-Luther-Kirche

Emden.
Wenn man das Gefühl hat, dass ein Konzert wie im Fluge vergangen ist, dann muss es wohl unterhaltsam, aber auch qualitätvoll gewesen sein. War es auch! Tine Thing Helseth & tenThing sorgten mit ihrem Spaziergang durch die Musikgeschichte dafür, dass sich die Zuhörer in der fast ausverkauften Martin-Luther-Kirche pudelwohl fühlten. Es war aber auch eine bestechend schöne Aneinanderreihung von Highlights, die da auf dem Programm stand.

Volles Haus: Tine Thing Helseth (ganz links) und Ensemble. Bilder: Karlheinz Krämer

Die zehn Bläserinnen sorgten mit wunderbar gepflegtem Sound für ein überzeugendes musikalisches Ergebnis. Schon der Beginn mit der Suite „Aus Holbergs Zeit“ von Edvard Grieg war ein einzigartiger Hörgenuss – auch wegen des sensiblen Arrangements von Jorle Storløkken, der die Besetzung aus vier Trompeten, vier Posaunen, einem Horn und einer Tuba ganz ausgezeichnet einsetzte.

Die triumphale „Wassermusik“ Georg Händels ist natürlich wie gemacht, um sie von Bläsern gespielt zu hören. Und das große Ensemble erzeugte den nötigen Druck, um die Komposition mit Kraft und Stil zu interpretieren, wobei auch in schnellen Passagen die Töne wunderbar hörbar blieben. Leider gab es nur die zweite von drei Suiten zu hören – was schade, aber aus Zeitgründen auch verständlich war. Der barocken Opulenz dieses Werkes wohnt allerdings ein Zauber inne, der Suchtpotential entwickelt – vor allem, wenn es derart filigran gespielt wird.

Thine Thing Helseth und tenThing

Aufgefangen wurde dieses Prachtstück von Astor Piazzollas „Milonga del Angel“. Und hier erwies sich, dass Blasinstrumente keine Lautstärke benötigen, um perfekte Wirkung zu erzielen. Die zehn wunderbar aufeinander abgestimmten Musikerinnen erwiesen sich auch in dieser Dezenz als Meisterinnen ihres Fachs.

Der erste Teil hatte mit der Musik eines Norwegers begonnen – und er endete auch damit. Geirr Tveitt und ein Satz aus seiner 1. Suite „Hundrad Hardingtonar“ stand auf dem Programm. Die Musik – unzweifelhaft folkloristisch – erschien wie eine kraftvolle Landschaftsskizze, Öl statt Aquarell, und sie ließ für den zweiten Teil einiges erwarten.

Tine Thing Helseth und ihre Trompete

In diesem standen Aaron Coplands „Hoe Down“ aus „Rodeo“, Piazzollas „Sommer“ und „Winter“ aus den „Vier Jahreszeiten“ sowie drei Preludes von Gershwin auf dem Programm. Und man tat sich schwer, irgendeinem der Werke den Vorrang zu geben. Coplands Mini-Wild-West-Show? Die strukturierten Einblicke in die südamerikanischen Jahreszeiten? Oder die konzertanten Tänze eines Gershwin? Nicht zu entscheiden – zumal tenThing sich in bestechend subtiler Weise den so unterschiedlichen Werken näherte.

Große Kulisse für die Musikerinnen: Blick durch die Luther-Kirche Richtung Westen

Der Gang durch 300 Jahre Musikgeschichte wäre nicht vollständig gewesen ohne einen Blick in die Welt des Rock und Pop. Und da die Norwegerinnen keine Berührungsängste haben, war es ein Genuss, ihnen bei „Here comes the sun“ von den Beatles, „God only knows“ von den Beach Boys oder „Waterloo“ von Abba zu lauschen.

Ein Glas Wein im Garten: vor der Martin-Luther-Kirche war genügend Platz für das Catering

Eigentlich wäre der Kreis nun mit den Werken dreier norwegischer Komponisten geschlossen gewesen, doch dann gab es eine Zugabe, die temporeich, leuchtend und heiter den Abend beendete – der „Grassauer Zwiefalter“ der niederländischen Komponisten Jan Koetsier. Beste Bläserkost und höchstes Vergnügen für frenetisch applaudierende 600 Besucher.