Leckerbissen am laufenden Band

Erstmals gastierten die Gezeitenkonzerte in der Kirche zu Greetsiel

Greetsiel.
Ein großer Spaß! Virtuos, humorvoll, zugänglich, folkloristisch, gewürzt mit osteuropäischem Temperament und musikalischem Furor.

Waren bestens disponiert: Geiger Matthias Well und Akordeonist Vladislav Cojocaru. Bilder: Karlheinz Krämer

Im Rahmen der „Gezeiten“ waren Matthias Well und Vladislav Cojocaru mit einem Konzert über die von den Roma inspirierte Musikwelt eingeladen – verpackt in den Titel „Brahms und seine Liebe zur ungarischen Musik“. Und die Kirche in Greetsiel, erstmals von den Gezeitenkonzerten bespielt, erwies sich als wunderbarer Konzertraum, der mit der „Gypsi-Musik“ bestens klar kam und den Besuchern akustische Leckerbissen am laufenden Band ermöglichte.

Die beiden Instrumentalisten aus München kamen beim Publikum in Ostfriesland bestens an

Zwar war aus dem angekündigten Trio ein Duo geworden, weil Cellistin Maria Well kurzfristig erkrankte und das sehr spezielle Programm keinen Ersatz zuließ. Doch was der Violinist und der Akkordeonist über zwei Stunden boten, war technisch wie musikalisch Spitze. Die beiden spielten ihr Programm frei. Einzig ein Zettel, den Matthias Well zu Rate zog, um das veränderte Programm anzukündigen, bot den beiden Musikern Anhaltspunkte. Daraus entwickelte sich mit jugendlichem Charme ein Abend, der vor Virtuosität geradezu barst und dem Publikum größtes Vergnügen bereitet.

Sah leicht aus, war aber spielerische Höchstleistung: Matthias Well mit seiner Geige

Dass man letztlich sogar Bach mit dem speziellen Sound der Roma überziehen und daraus ein vor Leben sprühendes musikalisches Etwas zaubern kann, zeigten Well und Cojocaru – Stück für Stück. Ob es sich nun um Brahms‘ ungarische oder Dvoraks slawische Tänze handelte, um Aznavours „La Bohème“, Fritz Kreislers „Schön Rosmarin“ oder Piazzollas Tango „Yo soy Maria“. Bei dem Sound, den Well und Cojocaru erzeugten, geriet schlichtweg alles in Bewegung, um das Ziel, Inspirationsquellen für musikalische Befruchtungen aufzuzeigen, zu erreichen.

Die Finger flogen nur so über Tasten und Knöpfe: Vladislav Cojocaru mit dem Schatten von Matthias Well an der Wand

Dazu wurde ein breites Spektrum zwischen klassischer Musik und Traditionals beleuchtet. So fand sich der „Gloomy Sunday“, bekannt auch als „Lied der Selbstmörder“, wie Matthias Well moderierte, unter den ausgewählten Stücken. Es erwies sich allerdings als eher melancholischer denn als suizidaler Beitrag. Schmelzend und sehnsuchtsvoll erklang „Melodie“ des ukrainischen Komponisten Myroslaw Skoryk. Von geradezu hanebüchener Virtuosität geprägt: „Hora martisorului“ und dann eine Komposition des Akkordeonisten Cojocaru, ein „Czardas“, der es sich sich hatte.

Die Nacht senkte sich langsam über Greetsiel und seinen Hafen, als das Konzert zu Ende ging. Bild: Raoul-Philip Schmidt

Das Publikum forderte Zugaben. Die gab es dann reichlich. Der Versuch, mit Charlie Chaplins „Smile“, Ruhe in den Saal zu bringen, klappte nicht. Im Gegenteil heizte der an sich harmlose Pop-Song der späten 60er Jahre „Those were the days“ von Mary Hopkin – in Roma-Art umgesetzt – die Flamme wieder an. Die Musiker hatten offenbar ebenso viel Spaß an dem Abend wie das Publikum, so dass der Abend in gegenseitiger Wertschätzung zu Ende ging.