Einhören – warm werden – abheben!

Das Gezeitenkonzert in Leer bot eine Verknüpfung von Kammerorchester und Jazz-Trio

Leer. Wie schade. Dieses Konzert hätte ein brachial volles Haus verdient. Denn das, was sich am Montag im Theater an der Blinke abspielte, war auch für die umtriebigen Gezeitenkonzerte eine Innovation. Ein klassisches Kammerorchester wird zur Band, die sich mit einem klassischen Jazz-Trio in ein musikalisches Abenteuer stürzt. Pardauz! Selbst Skeptiker des Projektes mussten sich geschlagen geben – so überzeugend waren Auswahl der Beiträge und Präsentation.

Jazz und Kammerorchester im Theater an der Blinke in Leer. Bilder: Karlheinz Krämer
Als Pianist und als Dirigent gleichermaßen begabt: Frank Dupree

Im Zentrum des musikalischen Trubels – der charismatische Jazz-Pianist Frank Dupree, der auch dirigierte und zum Schluss gemeinsam mit Meinhard „Obi“ Jenne ein Schlagzeug-Solo hinlegte, das es „in sich“ hatte. Aber schon von Anfang an konnten die Besucher sicher sein, dass es an diesem Abend extravagant zugehen würde. Es gab Strawinski zum Einhören, Kapustin zum Warmwerden und Mussorgski zum Abheben.

Der Enthusiasmus des Pianisten Frank Dupree kam beim Publikum an
Schlagzeuger Meinhard „Obi“ Jenne und eine Gruppe des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn

Strawinskis „Concerto in D-Dur“ mit den fremdelnden und behaglichen Ecksätzen und einem klangstarken Mittelsatz bildete den Auftakt, in dem das Württembergische Kammerorchester Heilbronn sich schon einmal in Szene Sätze. Nikolai Kapustins „Variationen über ein Thema von Strawinski“ gaben einen ersten Einblick in die Variationskunst von „Obi“ Jenne und dem Kontrabassisten Jacob Krupp, während der Klavierpart durch die Noten des Komponisten streng „gebändigt“ war. Im Klavierkonzert Nr. 4 von Kapustin dominierte ein treibender Rhythmus, in dem alle Stile der Jazz durchgespielt wurde – von Rock ’n Roll über Rockballade, Blues bis Swing, aber in dem auch die klassische Kadenz auftauchte.

Gehören zum Jazz-Trio: Jakob Krupp und Meinhard Jenne

Zum Höhepunkt aber wurden Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ in der Bearbeitung von Yaron Gottfried, der das Material immer wieder verwandelte und umformierte, mal einige Motive stehen ließ, doch dann auch völlig Neues entwickelte – eine wirklich spannende Transformation, die durch die nie ermüdende Energie der Ausführenden zu einem Erlebnis wurde.

Anders als die Kompositionen Kapustins ließ die Bearbeitung Gottfrieds dem Trio ausreichend Raum für Improvisationen, die in ihrer rasanten Durchführung kaum mehr zu überbieten waren. Tosender Applaus war der Dank des Publikums, den Dupree in höchst sympathischer Weise auf Orchester und Trio-Mitglieder weiterleitete.

► Das Konzert wurde von Deutschlandfunk Kultur aufgezeichnet und wird am Donnerstag, dem 4. August, ab 20.03 Uhr in der Sendung „Konzert“ übertragen.