In spirituellen Höhen

Das 38. Konzert der „Gezeiten“ brachten den Violinisten Christian Tetzlaff in die Johannes a Lasco Bibliothek

Emden.
Klar steht der Ton der Geige im Raum und scheint mit den malträtierten Wandflächen der einstigen Großen Kirche zu konversieren. Es ist ein Ton, der den einsamen Solisten auf der Bühne in Tragik hüllt – und in einen Hauch von Zeitlosigkeit, von Schweben, aber auch von Erhabenheit. Ein reines Gefühlschaos, das ein extremes Bedürfnis nach Stille und Versenkung hinterlässt, so existentiell ist es.

Versunken in sein Spiel: Christian Tetzlaff in der Johannes a Lasco Bibliothek. Bild: Karlheinz Krämer

Ysaӱes Sonate für Violine solo ist nur der erste Akt in diesem dramatischen Dreiteiler, der auf eine grandiose Steigerung angelegt ist und in dem ein Werk in das andere greift, in dem alles mit allem in Beziehung steht, antwortet, fragt, sich vergewissert, sich verströmt – und sich wieder in Neues ergießt. Ysaӱe, Bach, Bartók, jeweils für Violine solo – Opus 27 von Ysaӱe, Opus 1004 von Bach, Szőllősy-Verzeichnis 117 von Bartók. Harte Brocken, die teilweise für unspielbar gehalten wurden. Christian Tetzlaff spielt sie, technisch brillant, er lotet tiefste Tiefen aus, bringt alle Erfahrung, alles Können ein – und wirkt so unglaublich selbstverständlich, während er die Musik in spirituelle Höhen erhebt.

Drei Komponisten, drei Auffassungen und doch – welche Nähe besteht in der Wirkung dieser beiden Sonaten und der Partita. Es ist Musik, die die Gefühlswelt angreift, umgreift, ergreift, sie auf und nieder schleudert – in der Gewissheit, dass sie den Hörer sprach- und atemlos zurücklässt, auch wenn er die Werke noch so oft gehört hat.

Tetzlaff ist ein Meister darin, diese Intensität zu erzeugen – und sie zu halten. Wenn er auf der kahlen Bühne steht, ab und an auf die Noten schaut, meistens in sich gekehrt wirkt, dann möchte man ihm am liebsten zurufen: „Da capo!“ Sein Spiel verlangt einfach nach mehr. Es folgt. Der dritte Satz aus der Sonate Nr. 3 von Bach, Largo – eine Zugabe, die das Konzert einerseits abrundet, aber zugleich auch ein schmerzliches Bedürfnis nach Fortsetzung weckt.