Ironie und Zynismus gegen den Wahnwitz der Zeit

Jahresausstellung des BBK 2022 erstmals in der Kunstgalerie Ulbargen

Ulbargen. „In der Kunst gibt es nichts Neues“, sagt Hartmut Bleß, Vorsitzender des Bundes bildender Künstler (BBK) in Ostfriesland, nüchtern und lächelt vor sich hin, indem rund um ihn die Bilder der diesjährigen Jahresausstellung des Berufsverbandes hängen. Es sind 30 Arbeiten von 17 Künstlern, die unter dem Titel „Blendwerk“ verfremdete Fotografien, Skulpturen, Grafiken, Acryl- und Ölarbeiten zeigen. Alles Blendwerk?! Alles Tarnung, Fiktion, Illusion, Halluzination?!

Ulrich Schnelle mit einem Bild der „Ikarus“-Serie und Hartmut Bleß mit einem „Selbstporträt“

Bleß ist ein Mensch, der dem heutigen „Wahnwitz gerne mit Ironie und Zynismus begegnet“. Das ist auch seinen Werken anzusehen, wenn der harmlose Bildtitel auf „Herbstlaub“ verweist und dieses sich im Bild als eine Schädel-Landschaft entpuppt. Wenn ein Waldstück vermeintlich sonnenrot beleuchtet ist, aber – aus der Nähe betrachtet – lichterloh brennt. Sehgewohnheit trifft hier auf Bildrealität. Wenn sein Selbstbildnis einen Toten-Kasperl in den Armen hält, wobei die Farbigkeit sich im Spektrum von Schwarz-Rot-Gold bewegt, fällt das in den Bereich „der Tod als Fimmel“, als verarbeitete Lebenstrauer, wie Bleß gesteht.

„Fall von Schwerkraft“ von Petra Schamberger

„Liebe, Tod und Teufel“ heißt ein Video, das er im Corona-Jahr 2021 inszenierte – düstere Vergänglichkeit, Memento Mori-Stimmung, aber auch verzweifelter Ausdruck der Unmöglichkeit, seine Werke während der Pandemie vor Publikum präsentieren zu können. „Liebe Tod und Teufel“ steht auch in Krapprot auf der Innentür, die zu seinem Atelier-Bereich führt. Eine ständige Mahnung? Zynisch? Ironisch? „Lieber hintergründiger Witz als offene Dramatik“, urteilt Bleß selber.

An diesem „Tag des offenen Ateliers“ im Rahmen der 1. Ostfriesland-Biennale ist auch Ulrich Schnelle in die Kunstgalerie Ulbargen gekommen. Er ist bildender Künstler, lebt im Rheiderland, und ihm wurde gerade der Kunstkalender von Ostfriesischer Landschaft und Landschaftlicher Brandkasse gewidmet (KiE berichtete). In der Jahresausstellung zeigt Schnelle Abstraktionen unter dem Oberbegriff „Ikarus“. Auch ein Todesmotiv. Versteht heute noch jemand diesen antiken Zusammenhang? „Das ist mir eigentlich egal“, bekennt Schnelle. „Darauf kann ich auch keine Rücksicht nehmen.“ Und dann sinniert er mit Bleß über ein Buch, das er gelesen hat, über die „Schönheit hässlicher Bilder“.

Michael Becker Potshausen mit „Ein Drama“. Das Kreuz ist aus Schutzmasken zusammengesetzt

Die Diskussion wird unterbrochen, weil Besucher kommen, die durch die großzügigen Räume der Galerie flanieren. Es werden an diesem Sonntag sehr wenige bleiben. Auch das ein Phänomen, das kurz gestreift wird: die Zahl der bildenden Künstler in Ostfriesland steigt – die Zahl der Kunden ist minimal. Die Künstler-Existenz ist ein gefährdetes regionales Gut.

Dazu komme, sagt Ulrich Schnelle, dass er zu alt sei, um von einer Galerie außerhalb Ostfrieslands vertreten zu werden. Da habe man keine Chance mehr. Auf der anderen Seite fühle er sich in seinen 60er Jahren als jemand, „der mit wachsendem Alter immer besser wird.“ Dabei ist sein aktuelles Thema mindestens so „anrüchig“ wie die Schädel von Bleß existenzialistisch wirken. Derzeit ist es nämlich die Vergänglichkeit von Müll, die ihn beschäftigt. Bei Bleß gibt es auch einen neuen Plan – Malen auf Abfall, auf alter Wellpappe, Türen, Abdeckungen von Waschmaschinen. Dann müsse er wenigstens nicht mehr Rahmen bauen. Das sei ihm nämlich inzwischen ziemlich zuwider.

Kriso ten Doornkaat aus Rysum ist mit dieser Plastik auf der Jahresausstellung vertreten

Daneben steht eine neue Erfahrung bei Bleß. Dass er sich nämlich im „mindestens 10. Versuch“ mit der Gattung „Porträt“ immer erfolgreicher auseinandersetzt und nun auf Menschen wartet, die sich porträtieren lassen wollen. „Er ist wirklich gut“, betont Kollege Schnelle, obwohl man – eine allgemeine Erafhrung – inzwischen erkennen müssen, dass die Energie langsam nachlasse. „Tja“, unkt Hartmut Bleß. „Es lässt alles nach, deshalb heißt das, was am Ende übrig bleibt, ja auch Nachlass.“


► Die Jahresausstellung des BBK „Blendwerk“ ist noch bis zum 16. Oktober (immer sonnabends und sonntags von 14 bis 18 Uhr) zu sehen. Am 16. Oktober wird die Ausstellung mit einer Finissage in der Zeit von 11.30 bis 15 Uhr beschlossen. Adresse: Güldnerstraße 2 in Großefehn (Gewerbegebiet von Ulbargen)


► Parallel dazu gibt es eine Ausstellung von vier BBK-Mitgliedern in Detern / Amdorf, Altfehnstraße 6, Galerie Mrongowius mit dem Titel „Schöner Schein“ (immer sonntags von 14 bis 16 Uhr). Auch sie endet am 16. Oktober.