Der anderer Blick in Emdens Geschichte

Emden. Der diesjährige Denkmaltag zeigte, wie kreativ ein solches Gedenken sein kann. Im Haus der Spätrenaissance am Burggraben stand der Besucher vor Relikten des vergangenen Emdens, die Marion und Manfred Meyer mit Bedacht und Kenntnis zusammengetragen haben – und man staunte, dass dergleichen überhaupt noch vorhanden ist – das Kapitell einer Säule, die einst zum Dornumer Haus in der Brückstraße gehörte (heute Möbel Elend), eine Volute mit Brandspuren von der Neuen Kirche, zwei Kugeltöpfe aus dem Keller des Gebäudes, unglaubliche Mengen an Fliesenrelikten, und – der vermutlich kleinste „Garten“ Emdens.

Sonntag. 12 Uhr. Große Straße: Birgit Frerichs (Friesenbühne) berichtet aus der Sicht des Peterke-Denkmals aus dem Leben der Straßenfegerin

Und so spazierten am Sonntag viele Gäste durch das Haus, das auf einer Grundfläche von nur 47 Quadratmetern seinen einstigen Bewohnern dennoch Lebensraum bot – samt eines Geschäftsbetriebs. Die Sanierung, die das Ehepaar Meyer zu 80 bis 90 Prozent eigenhändig bewältigte, zog sich über sieben Jahre hin. Oberstes Anliegen dabei: die Spuren der Vorbewohner zu belassen. Abdrücke von Möbelbeinen im Holz, Dellen, auch die Vorderfront des Hauses. „Wir hätten ja die Fassade im Stil der Spätrenaissance erneuern können“, sagt Meyer, aber das hätte einen massiven Eingriff in die gewachsene Geschichte des Baus bedeutet.

Erdgeschoss des Hauses am Burggraben mit dem Kapitell vom Dornumer Haus. In der Vitrine zahlreiche Fragmente, die bei der Sanierung des Gebäudes gefunden wurden.
Blick in den vermutlich kleinsten „Garten“ Emdens, in dem steinerne Fundstücke aus dem alten Emden ausgestellt werden.

Jeden Schritt hat das Ehepaar Meyer genau überlegt. Ein zugeschütteter Keller wurde, nach den Untersuchungen der Archäologen, wieder gefüllt. Nicht allerdings, ohne das „Abschied genommen wurde“, wie Manfred Meyer sagt. „Wir haben uns an den Rand gesetzt, die Beine baumeln lassen, ein Glas Sekt getrunken“. Solchermaßen stilvoll verabschiedet, konnte der Kellerraum am nächsten Tag dann beruhigt in den vorgefundenen Zustand zurückversetzt werden.

Bis ins Detail liebevoll aufgearbeitet: Tür zur Toilette

Solche Anekdoten hat Ehepaar Meyer viele zu berichten. Erzählt wurde gestern aber auch an anderer Stelle – beim Peterke-Denkmal in der Großen Straße nämlich, wo Birgit Frerichs von der Friesenbühne in die Rolle der Straßenkehrerin schlüpfte und einem versammelten Publikum berichtete, was ein Denkmal beobachtet und welche Schlüsse es darauf zieht. In ihrer lebhaften Darstellung mischten sich – zur Freude der reichlich erschienenen Interessierten – die Lesung eines Gedichtes über Peterke, dass die Emder Erzieherin Gesine Heubült einst auf Hochdeutsch aufgeschrieben hatte, mit plattdeutschen Texten, die Birgit Frerichs selber hinzugefügt hatte und die sie stets beendete mit dem Refrain: „As Denkmal in Emden beleevt man so allerhand, ik kan völ vertellen van uns Stadt an ‚t Waterkant.“

Elske Visser, Initiatorin der szenischen Lesung, das Peterke-Denkmal von Karl-Ludwig Böke und Birgit Frerichs, die das hochdeutsche Peterke-Gedicht der Tante von Elske Visser, Gesine Heubült, mit plattdeutschen Elementen versehen hat.

Und in der Tat gab es – immer aus Sicht des Denkmals – allerhand zu berichten: von alten Zeiten, von der Währungsreform, von den Emder Krankenhäusern, von Siegfried mit dem Elektrisierapparat, über Peterkes Brille, die immer wieder abgerissen wurde, über den Müll auf den Straßen, über Zerstörungswut und Emder Honoratioren, über das Bunkermuseum (für Brandschutz habe sich damals niemand interessiert. Man sei vielmehr froh gewesen, sich überhaupt an einem sicheren Ort verkriechen zu können). Das letzte Wort war eine Mahnung: Denkmal bedeute auch nachzudenken. Und das werde manchmal vergessen.

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