Neue ästhetische Strahlkraft

Emden. Die Restaurierung der beiden großen Rathaus-Gemälde des Malers Johannes Verhagen ist abgeschlossen. „Moses schlägt Wasser aus dem Felsen“ und „Das Urteil des Salomo“, datiert 1577 und 1576, sind damit gesichert. „Jetzt sieht man auch, dass beide Bilder von ein und demselben Künstler gemalt wurden, und man erkennt ihre hohe künstlerische Qualität“, konstatiert Dr. Annette Kanzenbach, Kuratorin der Gemäldegalerie im Ostfriesischen Landesmuseum. „Mit ihrer neuen ästhetischen Strahlkraft gewinnen die Werke auch ihre historische Erzählkraft zurück.“

Vor den fertig restaurierten Gemälden „Moses schlägt Wasser aus dem Felsen“ und „Das Urteil des Salomo“: Dr. Annette Kanzenbach, Uta Matauschek und Sybille Kreft.

Die Gemälde wurden im 16. Jahrhundert für das neu erbaute Renaissance-Rathaus in Auftrag gegeben. Sie gehören mit zwei Werken Martin Fabers (1587 bis 1648) zu den sogenannten „Gerechtigkeitsbildern“, die den Ratsherren biblische Szenen als Mahnung und Vorbild vor Augen führten.

Annette Kanzenbach zwischen den beiden Großformaten. Links hinter ihr
das Selbstbildnis des Malers Johannes Verhagen und seiner Frau. Beide blicken aus dem Bild heraus. Bild: Martinus Ekkenga

Das „Moses“-Gemälde allerdings steht noch in einem anderen Kontext, sagt Annette Kanzenbach. Es zeigt den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Aber es sind nicht allein die Mitglieder dieses Volkes, die auf der Flucht sind. Verhagen malt, so stellt Annette Kanzenbach fest, „arme und wohlhabende Menschen, junge und alte, Bewohner unterschiedlicher Kontinente“.

Durch die Rettung eines 2,8 Zentimeter breiten, bemalten Streifens am unteren Bildrand sieht man den Hund das Wasser trinken. Vorher hatte man den Eindruck, das Tier lecke den Rahmen ab.

Aber trotz der Flucht-Situation schildere Verhagen keineswegs Not und Verzweiflung, „sondern hoffnungsvolle, beherrschte Menschen, die ihre Familien versorgen, die sich gegenseitig helfen unabhängig von ihrer sichtlich verschiedenen Herkunft“.

Der Zeh dieses Männerfußes war zuvor unter Übermalungen verschwunden. Obwohl die Freilegung heikel war, haben die beiden Restauratorinnen die Wiederherstellung gewagt.

Die Restauratorinnen Sybille Kreft und Uta Matauschek haben sich ein halbes Jahr mit der Restaurierung beschäftigt und sich dazu ein Atelier auf Zeit inmitten der Ausstellungsobjekte des 16. Jahrhunderts eingerichtet. Das geschah, um die Werke nicht durch klimatische Veränderungen und einen Transport zusätzlich zu belasten. Mit ihrer Arbeit sind sie zufrieden, aber ihre Reaktion ist nicht enthusiastisch. Das müsse man aber richtig verstehen. „Wir schleppen die Bilder seit sechs Monaten im Kopf mit uns herum“, sagt Uta Matauschek. Da verliere sich die pure Begeisterung, nicht aber die Sorgfalt, mit der die vielfigurigen Gemälde bearbeitet wurden. „Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden. Ja!“

Der Zeigefinger des Soldaten konnte ebenfalls wieder freigelegt werden

Die beiden Frauen haben von einem Programm profitiert, das die Ernst von Siemens Kulturstiftung speziell für freiberufliche Restauratoren und Wissenschaftler in Museen aufgelegt haben, um deren durch die Corona-Krise verursachte Erwerbsminderung auszugleichen. Das Landesmuseum erhielt dabei den Höchstsatz, um Kreft und Matauschek einsetzen zu können – 25 000 Euro. „1820DieKUNST“ legte noch weiteres Geld hinzu, so dass die Restaurierung beider Gemälde jetzt endlich durchgeführt werden konnte. Denn die ersten Kostenvoranschläge hatte Annette Kanzenbach bereits vor 20 Jahren eingeholt, da sie wusste, dass eine Überarbeitung der Bilder dringend notwendig war.

Ein Hinweis, dass das Gemälde „Das Urteil des Salomo“ für Emden gemalt wurde? Die Cirksena-Harpye am Thron des biblischen Königs.

Die Siemens Kulturstiftung anerkannte die Qualität der Malerei und wertete die Aufarbeitung als „ein absolut sinnvolles und charakteristisches Projekt des Programms, das wertvollen Kunstwerken, freiberuflichen Restauratorinnen und den Besuchern gleichermaßen nützt“, wie Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung, es formuliert.

Johannes Verhagen, dessen Lebensdaten nicht bekannt sind, war selber Flüchtling und kam vermutlich aus Flandern nach Emden. Annette Kanzenbach ist aufgrund von stilistischen Vergleichen der Überzeugung, dass Verhagen in der Werkstatt des berühmten Antwerpener Malers Frans Floris (um 1516 bis 1570) gelernt und gearbeitet hat. Verhagen starb schon bald nach seiner Übersiedlung, so dass die beiden Gemälde im Landesmuseum ostfrieslandweit die einzigen sind, die ihm zugeordnet werden können.

Realistischer Tierkopf am Stiefel des Salomo.

Die beiden Restauratorinnen näherten sich der alten Substanz mit großer Vorsicht. Zunächst wurde die Bildoberfläche gereinigt und die Malschicht gefestigt. Dann nahmen sie schichtweise den alten vergilbten Firnis ab. Frühere Übermalungen und Kittungen wurden entfernt. Dabei war es immer eine Entscheidungsfrage, wie viel originale Substanz sichtbar gemacht werden kann. Immerhin arbeitete man auf einer sehr alten Leinwand. Die wesentlich Entdeckung aber war, dass das Gemälde „Moses schlägt Wasser aus dem Felsen“ um 2,8 Zentimeter länger war. Dieser kleine, aber nicht unwichtige Teil der Leinwand war am unteren Bildrand umgeschlagen und dadurch beschädigt worden. Diese Schädigungen konnten beseitigt werden. Nun hat das Gemälde wieder sein ursprüngliches Format – und auch einen angepassten Rahmen.

Hier hatten die beiden Restauratorinnen für ein halbes Jahr ihr provisorisches Atelier aufgeschlagen: ein abgeteilter Bereich in der Renaissance-Abteilung des Ostfriesischen Landesmuseums. Bild: Martinus Ekkenga

Mit den Jahrhunderten sei zwar eine Menge Farbkraft verloren gegangen, dennoch machte die „vorsichtige Reinigung wieder erlebbar, welch kraftvolle Farbigkeit die Gemälde ursprünglich hatten“, sagt Annette Kanzenbach. Und sie resümiert ganz im Sinne von Sybille Kreft und Uta Matauschek: „Die Restaurierung der beiden großformatigen Gemälde war ein immer wieder herausfordernder Abwägungsprozess. Jede Maßnahme war gut zu überlegen und mit dem Originalbefund für ein am Ende ausgewogenes Zusammenspiel abzuwägen.“