Lesung über einen Widersprüchlichen

Emden. Wie hat er ausgesehen? Dieser Heinrich Heine (1797 bis 1856)? Es gibt viele Bilder, aber ist er das wirklich – dieser polemische, satirische, spöttische, weise, intelligente, anspruchsvolle Dichter des Vormärz, dem die deutsche Literatur – so sagt man – so gut getan hat?

Die Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek hat einen Lesenden eingeladen, um den Schreibenden vorzustellen. Wer könnte das besser als Hermann Wiedenroth, der sich wissend der Gestalt eines Widersprüchlichen nähern, der sich in die Gestalt des Darzustellenden hineindenken und dessen dichterische Fragilität ausloten will. Ob sich daraus ein schlüssiges Bild des Journalisten und Autors des 19. Jahrhunderts ergeben wird?

Das soll sich am 10. November erweisen, am 539. Geburtstag Martin Luthers. „Ruhm dem Luther! Von dessen Wohltat wir noch heute leben“, hat der Jude Heine über den Reformator geschrieben. Eine merkwürdige Koinzidenz liegt in diesem Wirrwarr aus scheinbaren Zufälligkeiten.

Und wie hat er nun ausgesehen – dieser Mensch Heine, von dem wohl jeder den gleichsam kritischen wie ironisch gebrochenen Satz kennt? „Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht“. Klaus Frerichs, Mitglied im Vorstand der Freunde, hat stapelweise Bücher über den Dichter vor sich auf dem Tisch liegen. Alle zeigen Heine auf dem Titel – auf einem sieht er aus wie Schiller, auf dem anderen wie Chopin, auf einem weiteren wie ein romantischer Schwärmer. „Lesen Sie“, sagt Frerichs und reicht einen Zettel über den Tisch, der ein Zitat aus der Heine-Biographie von Fritz Raddatz enthält. Der hat versucht, die widersprüchlichen Aussagen zum Aussehen des „amüsantesten deutschen Klassikers und genialen Journalisten“ zusammenzufassen.

Ein Phantombild würde ihn als einen fetten, schlanken Mann präsentieren, groß und kleinwüchsig, das schüttere blonde Haar brennend Rot zu einem schwarz-lockigen Wuschelkopf getürmt, der typisch jüdisch lispelnd und stotternd zungenfertig ein makelloses Französisch voller grammatikalischer Fehler spricht. Und Raddatz fasst zusammen: „großkleinschmächtigmuskulösfeingebautbleichundschwächlich“ – Wer war Heine wirklich?

Hermann Wiedenroth selber hat eine Selbsteinschätzung Heines gefunden und notiert: „Ich hätte mir als lyrischer Dichter Ruhm erwerben können – und Deutschland hätte mich geliebt, als satirischer hätte es mich gefürchtet, als Polemiker hätte es auf mich gehört und mich gehasst. Nun bin ich aber, Gott sei’s geklagt, so ziemlich Alles gewesen, und Niemand weiß mich zu classifizieren.“ Das schwer fassbares Dasein des Dichters Heine – wissen wir nun, wer Heine ist?

Vielleicht lässt es sich in seinen Werken ablesen? Hermann Wiedenroth wird diesen Versuch unternehmen. Am 10. November begibt sich der Antiquariatsbuchhändler, Karl May-Fan, Arno Schmidt-, Wilhelm Busch- Kempowski-Kenner, Trauerredner ab 19 Uhr in der Johannes a Lasco Bibliothek auf Spurensuche, um dem Außenseiter Heine näher zu kommen.

► Die Bücherstube am Rathaus stellt dazu Heine-Bücher vor, aber auch Buchempfehlungen, die die Mitglieder des Freundeskreises sich in regelmäßigen „Rundschreiben“ selber geben.
► Der Eintritt ist frei. Gäste sind erwünscht.