„Lieber Harry, gut, dass Du tot bist“

Emden. Wenn Hermann Wiedenroth auf Einladung der Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek rezitiert, dann ist das Haus voll. Der Antiquar aus Bargfeld (Kreis Celle) hatte in diesem Jahr Heinrich Heine als Objekt seiner Lesung erkoren. Es zeigte sich schnell, dass dieser Literat, dieser Satiriker und Zyniker seine Unzufriedenheit mit dem politischen und gesellschaftlichen System in Deutschland wundervoll in Verse gießen konnte – die Wiedenroth ebenso bravourös rezitierte.

Harald Groenewold, Vorsitzender des Freundeskreises, Hermann Wiederroth und Vorstandsmitglied Klaus Frerichs

Oder – wie es zuvor Harald Groenewold, Vorsitzender der „Freunde“ in seiner Einleitung formulierte: Heine stehe für 150 Jahre Hass. „Heine-Verächter gibt es bis heute“, sagte Groenewold und verwies auf die Feministin Alice Schwarzer, die einen posthumen Brief an Heine mit den Worten beginnen ließ: „Lieber Harry, gut, dass Du tot bist.“ Sie habe dem Autor, der lange Zeit in Paris lebte, vorgeworfen, dass er Frauen ausnutze und sie verächtlich mache.

Wiedenroth beschränkte sich vor rund 150 Zuhörern in der Johannes a Lasco Bibliothek auf zwei Werke, aus denen er rezitierte: „Deutschland. Ein Wintermärchen“ und „Die Harz-Reise“. Dazu traten Einzelgedichte wie „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen“, in dem Heine Deutschland mit Schärfe kritisiert und den Staat gleichstellt mit einem langweiligen, spießbürgerlichen Provinzstädtchen, oder auch „Das Testament“, die einzige poetische Bearbeitung eines solchen Papieres, in dem er dann auch der Kirche noch einen Seitenhieb versetzt.

Hermann Wiedenroth hat sich mit seiner Rezitationskunst in Emden viele Freunde gemacht

Heine hat Goethe noch erlebt. Er war zum Besuch geladen, doch, so Wiedenroth, in seinem Tagebuch finde sich kein Niederschlag davon. Der Eintrag, der statt dessen dort steht, lautet: „Ich war in Weimar. Dort gibt es guten Gänsebraten.“ Und auch Goethe war anscheinend nicht sonderlich beeindruckt. Er notierte: „Heine aus Göttingen“. Erst Monate später habe Heine vermerkt, dass ihn das Aussehen des Dichters erschreckt habe. Er habe ein „Bild menschlicher Hinfälligkeit“ abgegeben.

An Heine habe nichts gestimmt und gleichzeitig alles, sagte Wiedenroth. Er lasse sich in keiner Weise fassen: es gebe aus keiner Altersphase authentischen Bildnisse, viele biographische Daten stimmen nicht, sein Geburtsname sei nicht Heinrich gewesen, sondern Harry, sein Geburtsdatum ist nicht verifizierbar, er wurde jüdisch geboren und christlich getauft. Der Widersprüche sind so viele, dass der Feuilletonist, Essayist, Biograph und Romancier Fritz J. Raddatz daraus eine humoristische Notiz erstellte, in der er alle Beschreibungen Heines zusammenfasste. Wiedenroth las sie zu seinem eigenen und dem Vergnügen der Zuhörer vor. Sie beginnt so: Heine sei ein: fetter, schlanker Mann, groß und kleinwüchsig, das schüttere blonde Haar brennend rot zu einem schwarz-lockigen Wuschelkopf getürmt …

In der Pause bot – das ist schon eine kleine Tradition – die Bücherstube am Rathaus einen Büchertisch an. Aber auch Wiedenroth hatte aus seiner Antiquariatsbuchhandlung Heine-Bücher mitgebracht. Die „Freunde“ kredenzten den Gästen derweil Wein. Die Unterhaltung ergab sich von selbst.