Zwischen Leben und Tod

Emder Singverein von 1805 e.V. gab sein traditionelles Jahreskonzert im neuen Gewand

Emden.
Wenn sich die Künste zusammentun, dann entsteht etwas Neues. Dann schreitet der Dirigent in Radmantel und Zylinder – begleitet von einer klassischen Tänzerin – beschwingt in den Raum hinein. Dann wird mit Glockenklang das jeweils nächste Stück angekündigt. Dann flankiert ein Gemäldezyklus den Einzug der Sängerinnen und Sänger, dann wird der Raum in buntes Licht getaucht oder es werden Projektionen an die Wände geworfen, dann beglückt eine Konzertharfe mit Zauberklang, dann entsteht eine Choreographie, die – so die Bitte der Veranstalter – nicht durch Applaus fragmentiert werden soll.

Großer Applaus für Singverein, Solisten, das Detmolder Saxophon Quartett, die Kammer Sinfonie Bremen, Organisten Tobias Brommann, Tänzerin Katie Riebschlaeger, Künstler Klaus Frerichs und für Clemens-C. Löschmann. Im Hintergrund ein Porträt von Camille Saint-Saëns

Zur Inszenierung gehört, dass sich alle an die Verabredung halten. Und auch das klappte am Sonntag beim Konzert des Emder Singvereins von 1805 unter der Gesamtleitung von Clemens-C. Löschmann. Der hatte auch das Procedere und die Abfolge ausgetüftelt, die in der gut besuchten Martin-Luther-Kirche für schiere Begeisterung sorgten.

Im Zentrum stand dabei Musik des französischen Komponisten Camille Saint-Saëns (1835 bis 1921). Und die kulminierte im ebenso kunstfertigen wie kraftvollen „Danse Macabre“ und in seinem berührenden Meisterwerk, der „Messe de Requiem“ von 1878.

Während der „Messe de Requiem“ werden die zehn Totentanz-Gemälde von Klaus Frerichs nacheinander groß auf das Altarbild projiziert

Doch viele Künste zu beteiligen bedeutet auch, für alle ausreichend Beschäftigung zu besorgen – für Orchester, Instrumentalsolisten, Sängersolisten, Orgel, Tänzerin und nicht zuletzt für den Chor, der zwar zahlenmäßig durch die Pandemie-Jahre geschwächt ist, stimmlich aber mit Genauigkeit und Sangesfreude ihrem Leiter folgte.

Der „Marche réligieuse“, hier für Orgel und Harfe arrangiert, bot einen zart-melodiösen Einstieg, der sich widerspielgelte im folgenden „Calme de Nuits“, der „Ruhe der Nächte“, dem ersten Auftritt des Singvereins, in dem sich die „Liebe zu den stillen Dingen“ in einen Chorsatz von filigraner Delikatesse geradezu ergießt. In der „Glocke“, der Vertonung eines Gedichtes von Victor Hugo fand der schöne Sopran von Stephanie Henke sein Solo-Sangesfeld. „Der Schwan“ aus dem „Karneval der Tiere“ wurde tänzerisch von Katie Riebschlaeger interpretiert. Leider konnte man von den hinteren Reihen aus nur Kopf und Arme der Tänzerin sehen.

In dem erst 2021 wiedergefundenen „Super flumina Babylonis“ war wieder der Chor gefordert, der sich stellenweise aufs Schönste mit dem Sopran verschleifte. Doch auch die Kammer Sinfonie Bremen und das Detmolder Saxophon Quartett waren im Einsatz, um das prächtige Chorwerk zu präsentieren. Und dieses machte in der Tat Eindruck, zumal wenn man bedenkt, dass dieses Werk von 1854 wohl erstmals Saxophone einsetzt – dies allerdings nicht solistisch, sondern zu Akzentuierung von Stimmungen innerhalb der Motette, die eine Vertonung von Psalm 136 ist.

Zum „Danse Macabre“ machte sich der Tod in Rot zum Tanze auf und Mezzosopranistin Rosina Fabius setzte das „Zig et zig et zig“ wirkungsvoll in Szene, wagte auch ein Tänzchen mit dem Sensenmann, ehe mit dem Requiem der Höhepunkt des Konzertes erreicht wurde, bei dem der Chor nun ganz zum Zuge kam und sich die Partitur mit dem wunderbaren Tenor Andreas Post, dem Bariton Jörg Gottschick und den beiden Frauenstimmen teilte. Die kleine Messe gestaltete sich musikalisch aufsteigend – von dem drohenden „Dies irae“ und dem um Gnade flehenden „Rex tremendae“ bis zu den lichteren Höhen des „Hostias“ und dem seelenvollen Abschluss im „Agnus Dei“.

Mitglieder des Singvereins und ein Teil der Kammer Sinfonie Bremen

Dazu wurden die zehn Totentanz-Bilder des Emder Künstlers Klaus Frerichs gezeigt, die eigentlich zum vorangehenden „Danse Macabre“ gehörten. Warum das so war, erschließt sich allenfalls aus der Länge der Stücke. Der „Danse“ wäre schlicht zu kurz gewesen, um die Bedeutung des Dargestellten in den komplexen Bildwerken zu erfassen.

Die Zugabe war natürlich noch einmal Saint-Saëns: das „Tollite Hostias“ aus dem Weihnachtsoratorium. Und das wurde zu einem prachtvoll festlichen Ja zum Leben, wobei die Orgel sogar triumphierend den Zimbelstern kreisen ließ. Organist Tobias Brommann spielte ganz ausgezeichnet – und er hatte im Konzert eine Menge zu tun. Dass er dennoch heraushörbar war, obwohl die Orgel sehr dezent im Mittelgrund blieb, mag die Qualität des Spielers herausstreichen.

Insgesamt: eine mächtige Leistung und ein Kunststück, so viele Beteiligte beisammen zu halten und zu einem inspirierenden Gesamtklang zu vereinen.