Das Denkmal auf dem Dodendwenger

Teil 2

Der Gedenkstein auf dem Emder Wall wird heute 100 Jahre alt. Die Geschichte eines Denkmals.

Theodor Allwardt ist zu diesem Zeitpunkt nicht nur für den Sonderausschuss, sondern auch für den Magistrat tätig. Denn die Stadt betreibt parallel zu den Bemühungen des Ausschusses einen eigenen Plan für die Schaffung einer Ehrung für die Beamten, Angestellten und Arbeiter der städtischen Verwaltung und die städtischen Lehrer. Zuständig ist Baudirektor Bornscheuer, der im März 1921 beginnt, die verschiedenen Ämter anzuschreiben, um die Namen der Gefallenen nachzufragen und eine verbindliche Liste zu erstellen.

An der Balustrade im Rummel des Rathauses will Allwardt eine Ehrentafel integrieren, doch das Projekt scheitert

Allwardt soll eine geeignete Form für eine Ehrung konzipieren und entscheidet sich als Standort für die große Balustrade des Rummels im Alten Rathaus Hier soll eine Gedenktafel in das hölzerne Geländer eingefügt werden. Allwardts Zeichnung hat sich in den Akten erhalten. Doch die Stadt tut sich schwer, denn es gibt Unklarheiten bei den Namenslisten. So ist ein Zimmerermeister, der für die Aufnahme in die Gedenktafel gemeldet wurde, gar nicht gefallen, sondern zuhause gestorben.

Auch die Finanzierung klappt nicht wie geplant. Der Magistrat wollte die entsprechenden Standesvertretungen zur Kasse bitten, doch es hagelt Absagen. Der Ausschuss der Polizeibeamten lehnt das Anliegen rundheraus ab. Und auch der Lehrerverein Emden ist nicht bereit, sich an den Unkosten zu beteiligen. Die Lehrerschaft Ostfrieslands plane vielmehr ein Ehrenmal in Aurich. Schließlich gibt der Magistrat auf. Am 7. November ergeht der Beschluss: „Von Errichtung einer besonderen Gedenktafel für die städtischen Beamten und Lehrer soll einstweilen abgesehen werden. Es ist die weitere Entwicklung der Denkmal-Angelegenheit abzuwarten.“

Im Juli 1921 ergeht eine Anfrage an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover zwecks Beurteilung des Planes und eines möglichen Standortes. Die Behörde in Hannover bremst. „Bezüglich der weiter beabsichtigten Errichtung eines Denkmals für die Gefallenen der Stadt sei darauf hingewiesen, dass es sich empfiehlt, diese Angelegenheit in Ruhe zu überlegen und künstlerisch ausreifen zu lassen.“ Als möglichen Standort bringt der Oberpräsident zwei Vorschläge ein: die Westerbutvenne oder den Stadtgarten, der damals auf dem Gelbe-Mühlen-Zwinger lag. Dem Ausschuss für das Denkmal teilt Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Mützelburg am 18. August 1921 mit, dass der Magistrat den Zwinger als Standort befürworte.

Der Magistrat schlägt den Gelben Mühlenzwinger als Standort für das Denkmal vor. Der Zwinger war als Stadtgarten mit Promenaden, Rabatten und einer Grotte eingerichtet. Hier eine Abbildung aus dem Stadtplan von Gier, datiert 1880

Dann geschieht etwas, das den Denkmalplan mit einem Schlag nach vorne bringt. Polizeimeister im Ruhestand Diedrich Buscher, der Mitglied des Kriegervereins ist, findet in einer Zeitschrift eine Anzeige, in der ein Berliner Bildhauer Kriegerdenkmale anbietet. Diesen Hinweis teilt Buscher seinem Vereinskollegen, dem Zahnarzt Dr. Schipper, mit. Schipper reist nach Berlin, sieht sich die Sache an und entscheidet spontan: Das ist es! Das ist das geeignete Denkmal für Emden!

Zurück in Emden wirbt er für den Ankauf des Denkmals und kann schließlich alle vier Vereine überzeugen. Der Bildhauer ist Otto Rösler. Er hat den ins Auge gefassten Stein nach Entwürfen des Professors Max Frick „in den Umrissen“ bereits entworfen. Sein großer Vorteil: es bietet genug Raum, um die Vielzahl der Namen aufzunehmen.

Der Versuch, die Namen auf dem Denkmal lesbar zu halten, indem man sie auf stark reflektierende Platten setzt

In einer Denkschrift, die Polizeikommissar Buscher ein Jahr später schreiben wird, beschreibt dieser das zu erwartende Denkmal. Man stellt allerdings nach Akteneinsicht fest, dass Buscher wesentlich aus einem Brief zitiert, den Professor Max Frick an den Ausschuss geschreiben hat, um seine Motivation für die Ausformung des Denkmals zu erläutern:

Motiv: Die Wahrheit gegen die Falschheit kämpfend. Die Grundidee dieses Denkmals war von dem Gedanken ausgegangen, dass Deutschland Unmenschliches im Kriege gegen Lüge und Hass der ganzen Welt vollbracht hat. Auf diese Idee aufbauend, schöpft der Künstler im oberen Teil des Denkmals das Relief eines schwer kämpfenden nackten Helden, der – in eine Unmenge Schlangen verwickelt, den heroischen Kampf mit dieser Giftbrut aufnimmt. Das Relief ist in seinem Aufbau architektonisch mit dem unteren Teil des Denkmals durch seine gelungene Lösung der Silhouette eng verbunden. Um dem mittleren Teil der Schriftplatte einen reicheren Rahmen zu geben, sind zwei reich ornamentierte Eckpfeiler geschaffen worden, die das Deckstück des Mitteldenkmals, auf dem das Relief sitzt, tragen. Auf die Schriftplatte wird wurde die Widmung gesetzt: Sie lautet: Dem Andenken der im Weltkriege 1914/18 gefallenen Helden. Die Kameraden des Kreiskriegerverbandes der Stadt Emden.“

Am 14. März 1922 steht das Denkmal in Berlin zum Versand bereit. Es ist 400 Zentner schwer und um es nach Emden zu verfrachten, müsste man einen ganzen Güterwagen mieten. Der Kreiskriegerverband bittet seinen Landesverband um Intervention beim preußischen Verkehrsminister. Der soll die Frachtkosten entweder ganz erlassen oder aber einer Ermäßigung zustimmen. Doch die Beihilfe wird abgelehnt, der Verein muss zahlen.

Um den Emdern deutlich zu machen, wie das Denkmal aussieht, hat der Modelleur, Bild- und Steinhauer Ph. Michel in der Zwischenzeit nach Entwürfen des Gartenbauarchitekten B. Wibben die Gesamtanlage als Gipsmodell hergestellt. Am 13. April 1922 wird der Entwurf im Schaufenster des Bekleidungsgeschäftes Peter Eilts am Delft ausgestellt. Leider hat sich das Modell nicht erhalten, und auch Fotos davon gibt es nicht. Es ist auch nicht bekannt, wie die Emder auf den Entwurf reagierten.

Im Juni 1922 sieht die Finanzlage so aus: Benötigt werden: 78 000 Mark für das Denkmal, 12 000 Mark für die Fracht, 25 000 Mark für die gärtnerischen Anlagen. Summa 115 000 Mark, wenn das Denkmal auf dem lutherischen Friedhof errichtet wird. Und für diesen Standort spricht einiges, gibt es hier doch bereits eine Gedenkstätte. Diese bereits bestehende Anlage soll in einem großen Wurf mit dem neuen Denkmal zu einer einzigen Anlage zusammengefasst und gärtnerisch einheitlich so gestaltet werden, das „alle Opfer des Weltkriegs, soweit sie die Stadt näher angehen, namentlich geehrt und vereinigt werden“, wie es schon als 2. Mai 1921 in einem Brief des Sonderausschusses an den Magistrat heißt.

Gedenkstein im Gräberfeld des Ehrenfriedhof an der Auricher Straße

Dieser Plan ist zwar bestechend, doch trifft er in der lutherischen Gemeinde anscheinend nicht auf die rechte Gegenliebe. In einem Brief, den der Sonderausschuss am 21. Juni 1922 an den Magistrat richtet, heißt es dazu: „Der Ausschuss hat aber dem Gedanken (das Denkmal auf dem lutherischen Friedhof zu errichten) keine weitere Folge geben zu können geglaubt, weil eine Einebnung des Heldenfriedhofs nicht erfolgen darf. Dadurch ist es künstlerisch unmöglich geworden, das Denkmal als einheitliche Anlage auszugestalten.“

Anders sähe die Sache aus, wenn man auf ein städtisches Grundstück ausweichen würde, meinte Dr. Schipper bei einer Zusammenkunft von rund 120 Kameraden am 19. Juni 1922 in der Gaststätte „Tivoli“. Dann würde nämlich die Stadt für Fundamentierung und gärtnerische Unterhaltung einspringen, zudem noch 20 000 Mark hinzugeben. Unter den Anwesenden macht sich Unruhe breit. Das Denkmal soll nun nicht mehr auf friedvoller Stätte stehen, sondern an einem öffentlichen Ort? Eine erregte Diskussion bricht los. Die Meinungen wogen hin und her: Museumszwinger (die hügelartige Erhebung beim Wallaufgang am Wasserturm, nahe dem damaligen Nordseemuseum der Naturforschenden Gesellschaft)? Gelber Mühlenzwinger? Ein Platz nahe der Diepen’schen Seilerei auf dem Vogelsangzwinger? Oder doch der lutherische Friedhof, der während der letzten beiden Jahre der selbstverständlichste Standort war?

Wurde als möglicher Standort eines Denkmals ins Spiel gebracht: die Anhöhe auf dem Meister-Geerds-Zwinger mit Blick auf den Wasserturm

Man bricht die Aussprache ab und führt eine Abstimmung durch: nur 14 der Anwesenden plädieren für den Friedhof, alle anderen wollen das Denkmal an einem öffentlichen Platz sehen. Welcher Platz? Nun, das sollen Sachverständige ausarbeiten.

Einen Tag später, am 20. Juni, besucht die Kommission noch einmal die beiden bevorzugten Standorte am Museum und der Platz neben der Seilerei am Vogelsangzwinger. Am Abend dieses Tages trifft die Kommission nochmals zusammen. Inzwischen hat man mittels Leitern als Stellagen die Konturen des Denkmals nachgebildet. Man schiebt die Leitern hierhin und dorthin, erprobt die Stellung, den besten Blick. Schließlich verabredet sich die Kommission zum Treffen in der Gaststätte „Zum Deutschen Kaiser“ in der Boltentorstraße, wo eine heftige Diskussion um das Für und Wider der beabsichtigten Standorte losbricht.

Die Herren Allwardt, Stieger, Hollander und Michel sind entschieden für den Vogelsangzwinger als Standort des Denkmals. Es gebe hier ein vornehmeres Bild ab, die ganze Umgebung schließe sich dem Denkmal besser an. Doch die Argumente der Befürworter des Standorts beim Wasserturm wiegen nicht geringer. Hier stehe das Mahnmal in schönem Kontrast zum Turm.

Diese Zeichnung vom möglichen Standort am Vogelsangzwinger findet sich in der Akte zum Denkmal im Emder Stadtarchiv

Alle Argumente sind wieder und wieder vorgetragen, bedacht, verworfen worden. Nun soll endlich ein Entschluss gefasst werden. Zwar sind nur zehn der 19 Mitglieder der Kommission erschienen. Doch das ist jetzt egal. Es kommt zur entscheidenden Abstimmung. Und die fällt denkbar knapp aus: In geheimer Abstimmung entscheiden sich vier Mitglieder für den Platz beim Wasserturm, sechs für den Vogelsangzwinger. Trocken heißt es im Protokoll: „Der letztere Platz ist somit gewählt worden.“

Wiederum einen Tag später, am 21. Juni 1922 meldet der Sonderausschuss dem Magistrat: „Die Vorarbeiten zur Errichtung eines würdigen Ehrenmals für die im Weltkrieg gefallenen Helden sind zum Abschluss gelangt.“ Man bittet den Magistrat, den unverbindlichen Vorgesprächen die Tat folgen zu lassen „und uns den gewünschten Platz verfügbar zu machen.“ Der gewählte Standort am Vogelsangzwinger werde „dem künstlerischen Empfinden in jeder Weise Rechnung tragen“.

Hier soll das Denkmal stehen: auf dem Rasendreieck am Vogelsangzwinger

Damit sind allerhand Hand- und Spanndienste verbunden, denn das schwere Denkmal bedarf zunächst einmal der Fundamentierung. Und so wendet sich der Sonderausschuss an das Wasserbauamt mit der Bitte um Bereitstellung von sechs Kubikmetern Kiessand und Zement. Zu diesem Zeitpunkt, man schreibt den 19. Juli 1922, ist der Transport bereits erfolgt. Das Denkmal befindet sich in Emden.

Am 21. Juli werden die Herren Dr. Schipper und Klaassen erneut bei der Stadt vorstellig. Man benötige 4500 Ziegelsteine aus städtischen Beständen, da die eigenen finanziellen Quellen langsam erschöpft seien. Und so geht das weiter. Am 23. Oktober 1922 – die Anlage ist zu diesem Zeitpunkt zu Zweidritteln fertig gestellt – wird eine neuerliche Sammlung angekündigt, da die Geldentwertung zu erheblichen Problemen geführt habe. Oberstadtgärtner Baensch wird die gärtnerische Gestaltung vornehmen, einige Malermeister wollen die Namenstafeln farblich abtönen, und an die Kameraden der vier militärischen Vereine ergeht die dringende Bitte, sich für die Erdarbeiten einige Freistunden einzurichten, damit man mit dem Projekt nun langsam zum Ende gelange. Am 29. Oktober richtet der Sonderausschuss erneut eine Bitte an die Stadt: Man benötige dringend 80 bis 100 Kubikmeter Humuserde und möglichst auch ein Fuhrwerk für den Transport.

Nun beginnen auch die Vorbereitungen für die Einweihungsfeier. Der Kirchenrat der reformierten Gemeinde wird gebeten, für den Gottesdienst die Große Kirche zur Verfügung zu stellen, „damit hinreichend Raum vorhanden ist“. Geistliche Worte sollen auf den Kirchenraum beschränkt bleiben. An der Denkmalstelle selbst soll es keine Andacht mehr geben, „um die Teilnehmer nicht allzu lange der unerfreulichen Witterung des Novembers aussetzen zu müssen“.

Zugleich ergehen Schreiben an die anderen Konfessionen in der Stadt – lutherisch, katholisch, israelitisch – mit der Bitte, den Termin der Einweihung in die Abkündigungen aufzunehmen. Der Liedervater des Emder Männergesangvereins, Julius Schulte-Westhoff, bereitet für Gottesdienst und Denkmalweihe passendes Liedgut vor. „Ihre schönen Darbietungen werden zweifellos eine dankbare Zuhörerschaft finden“ heißt es in dem Schreiben an ihn. Auch die Küstenwehrkapelle soll mitwirken.

In der Großen Kirche fand der Gottesdienst vor der Einweihung statt

Die Resonanz auf die weit gestreuten Einladungen lässt auch ganz praktische Erwägungen nicht außer Acht. So kündigt Gaswerkdirektor Kleindiek an, fünf Zentner Koks für das Heizen der Großen Kirche spenden zu wollen. Die Firma Fisser und van Dornum beteiligt sich mit zehn Zentnern Koks. Schriftführer Klaassen vermerkt auf dem Bescheid ausdrücklich, dass – der Inflation wegen – der Zentner Koks Mitte November 1922 mit 1454 Mark zu Buche schlage.

Für die Feier wird eine eigene Ordnung erstellt, die mit dem Antreten der Vereine um 9.15 Uhr auf dem Neuen Markt beginnt. Knapp heißt es dazu in einer Anzeige: Straßenanzug, Orden und Ehrenzeichen sichtbar tragen. Die Teilnahme sämtlicher Kameraden ist Ehrenpflicht.“ Dieser letzte Zusatz kennzeichnet generell die Anzeigen, die auch andere Gruppen in diesen Tagen aufgeben.

Krieger und Schlangen – noch sind die Motive zu erkennen

Und dann ist der für die Kriegervereine große Tag gekommen. Sonntag, der 26. November 1922. Über den Ablauf der Veranstaltung gibt es einen großen Bericht in der Ostfriesischen Zeitung. Autor ist der Redakteur und bekannte Heimatdichter Johann Friedrich Dirks. Er zitiert auch die Rede von Oberbürgermeister Mützelburg:

„Meine sehr geehrten Herren vom Kreiskriegerverband, namens der Stadt danke ich allen denen, die mitgewirkt haben, dieses würdige Denkmal für die zu schaffen, die ihr Leben für uns ließen. Wir versprechen ihnen, das Denkmal in unseren Schutz zu nehmen und zu erhalten zum ferneren Gedächtnis unserer Toten. Uns aber mag es mahnen, alles Trennende zu beseitigen und fest zu stehen für das, wofür unsere Toten fielen. Damit übernehme ich das Denkmal auf die Stadt Emden.“

Von Algen überzogen: das Denkmal von hinten. Auch unter der Plexiglasscheibe mit den Namen hat sich Schmutz festgesetzt



2005 – 83 Jahre nach seiner Aufstellung – ist das Denkmal stark verwittert, seine bildhauerische Ästhetik gefährdet. Die Namen der 562 Toten, von denen heute nur noch 531 zu lesen sind, kann man kaum noch entziffern. Da werden die Namen der Toten auf Plexiglas-Scheiben übertragen und diese vor den Stein geschraubt. Auf der Rückseite des Steins erkennt man heute, dass sich starker Algenwuchs breit gemacht hat. Das Denkmal wirkt schmutzig und vernachlässigt. An der Vorderseite tragen stark reflektierende Metallplatten die Namen der Toten – ebenso wie die Schriftplatte mit der Widmung:

Dem Andenken der im Weltkriege 1914/18
gefallenen Helden.
Die Kameraden des Kreiskriegerverbandes der Stadt Emden