Lyrische Gedankentiefe und explosive Brillanz

Emden. Das war ein grandioses, exquisites, qualitativ hochwertiges Konzert! Die Ostfriesische Volksbank hatte nach zweijähriger Pause wieder zum Adventskonzert in die Johannes a Lasco Bibliothek eingeladen – und damit eine lange Tradition weitergeführt.

Das Folkwang Kammerorchester Essen unter Hossein Pishkar in der Johannes a Lasco Bibliothek

Unter den drei mächtigen Leuchterkronen mit den brennenden Kerzen konzertierte das Folkwang Kammerorchester Essen unter dem phantastischen Dirigat eines auratischen Hossein Pishkar, mit Matthias Kirschnereit als Solistem und mit einem Programm, dessen musikalische Wucht des ersten Teils in einen nachdenklich-melancholisch-lyrischen zweiten Teil überging – und mit der Wiederholung des kontemplativen 5. Satzes „Adatio“ aus Leoš Janáčeks „Suite for string orchestra“ als Zugabe endete. Da stand das 19. gegen das beginnende 20. Jahrhundert – und man konnte nicht sagen, welche Epoche den Sieg davon trug.

Auch das war möglich: Pianist Matthias Kirschnereit gibt rasch noch ein paar Autogramme

Mendelssohn Streichersinfonie Nr. 2 in D-Dur und ohne Opuszahl gehört zu den Jugendwerken und besticht durch den Eifer und die Frische eines elfjährigen Komponisten. Das Orchester spiegelten diesen jugendlichem Elan der Sinfonie mit sichtbarer Begeisterung, und der 34-jährige Pishkar legte ein geradezu suggestives Dirigat an den Tag. Dieses steigerte sich noch bei dem nachfolgenden Klavierkonzert Nr. 1 g-Moll op. 25, denn auch Kirschnereit legte eine bestrickende Dynamik vor, die sich aus einem elegischen Andante heraus (leider an der feinsten Stelle vom Handy-Klingelton eines unachtsamen Besuchers gestört) zu einem spieltechnisch rauschhaft inszenierten Presto steigerte. Orchester, Solist und Dirigent agierten dabei aus einem Atem heraus – das geriet zu einem reinen Genuss-Moment.

Kirschnereit, noch ganz gefangen von dem explosiven dritten Satz des Klavierkonzertes legt nach – allerdings ganz ruhig und fein. Denn als Zugabe spielte er Chopins Nocturne in cis-moll, eine Nachtmusik voll verklärender Momente und damit ein wunderbarer Übergang zum zweiten Programmteil.

Max Regers „Lyrisches Andante“, auch „Liebestraum“ genannt, sein Hochzeitsgeschenk für einen Freund, nahm die ganze Zartheit und Unbegrenztheit des Nocturnes auf und überführte dieses Andante in die leidenschaftlich und gedankenreiche Janáčeks-Suite, die neben dem Mendelssohn-Klavierkonzert zum vielschichtigen zweiten Höhepunkt des Abends wurde, der ohne Zweifel als eine Sternstunde bezeichnet werden darf.