Eine kleine Kostbarkeit aus dem Jahr 1920

Emden. Das kleines Heft, in Leinen gebunden. Schlicht sieht es von außen aus. Doch wer den schmalen Band aufschlägt, der gerät ins Staunen und ins Schwärmen. Dort entfaltet sich Blatt für Blatt eine besondere Kostbarkeit: Ansichten der Großen Kirche aus dem Jahre 1920, mit Pastellkreide ganz dezent gezeichnet, aber an manchen Stellen wirkungsvoll in Gelb und Weiß gehöht.

Auf dem gräulich-braunen Papier des Skizzenbuchs wirken die gelben Akzente im Schleierwerk der Wenthin-Orgel von 1779 besonders strahlend. Kochs wählte für seine Skizze den linken Turm der breit gelagerten Orgel aus. Bilder: Johannes a Lasco Bibliothek / Udo Bleeker

Man sieht die markante Kanzel mit dem dahinter liegenden Taufbecken, die prächtige Orgel aus dem Jahr 1779 von Johannes Friedrich Wenthin, die Böhntjes der Fürstenfamilie, des Magistrates und der Vierziger, den üppig verzierten Eingang zum Enno-Grab, die schönen Gitter, die diesen Bereich vom Mittelschiff abtrennten. Detailreich ist das alles dargeboten, so fein gezeichnet, dass man es – nahezu – nachbauen könnte.

Die schöne Kanzel mit dem schwungvollen Aufgang schmiegt sich an einen der Pfeiler der Großen Kirche

Seit dem 11. Dezember 1943 ist die Große Kirche Geschichte. Bei einem Bombenangriff erhielt sie einen Volltreffer, und das Inventar verbrannte. In den kleinen Zeichnungen, geschaffen von Pastor Ernst Kochs, aber lebt die Kirche weiter. Kochs hat sehr genau hingeschaut und seine Beobachtungen mit Geschick ins Bild gesetzt. Es gibt durchaus Fotos und Gemälde, die den Innenraum der Kirche zeigen. Aber die leiden in vielen Fällen unter den schlechten Lichtverhältnissen des Raumes. Und natürlich gibt es Architekturzeichnungen in den „Kunstdenkmälern der Stadt Emden“ von Heinrich Siebern (1927). Aber Kochs fängt auch etwas von der Atmosphäre des Raumes ein.

Einmal um den gekalkten Pfeiler führt die Treppe herum: das Fürsten-Böhntje mit seiner reich verzierten Brüstung. In der Mitte erkennt man das Wappen der Cirksena mit der Harpye

Wer war nun dieser Ernst Kochs, aus dessen Nachlass das Skizzenbuch stammt? Dr. Klaas-Dieter Voß, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Johannes a Lasco, hat eine kleine Biographie zusammengetragen.

Reich gegliedert und geschmückt: die Abschlusswand zum Fürsten-Grab aus der Zeit nach 1540 mit dem schmiedeeisernen Gitter

„Schon während seiner Schulzeit fiel der spätere langjährige Emder Pastor Ernst Kochs (1868 bis 1954) durch sein großes Interesse an historischen Zusammenhängen auf. In seinem Reifezeugnis attestierten ihm seine Lehrer, dass er sich insbesondere im Bereich der Kirchengeschichte „anerkennenswerte Kenntnisse“ angeeignet habe.

Vom Mittelschiff aus fällt 1920 der Blick über ein steinernes Gitter auf die Abschlusswand des Enno-Grabes. Links erkennt man, gelb eingefärbt, die Grabplatte des Magister Wessel

Nach einem Studium der Theologie in Kiel und Halle, wurde er zunächst Hilfsprediger in Münster, um dann 1899 als Seelsorger nach Hattingen zu gehen. Eine erste größere Arbeit veröffentlichte er 1903 mit seiner preisgekrönten Darstellung „Übertritte aus der römisch-katholischen zur evangelischen Kirche in Deutschland während des 19. Jahrhunderts“. Wenige Jahre später folgte eine Publikation über den Kirchenliederdichter Paul Gerhardt, die in mehreren Auflagen erschien. 1907 wurde er an die Große Kirche Emdens berufen. Er schuf literarische Lebensbilder von Calvin, Zwingli, Lavater und Lincoln, mit denen er ein breites Publikum erreichte.

Das Magistratsböhntje hat einen mit einer Tonne geschlossenen Überbau und zeigt zum Schiff hin flachbogige Öffnungen, links daneben das Gestühl der Vierziger, das einfacher gehalten ist

In Emden angekommen faszinierten ihn von Anfang an die Bibliothek der Großen Kirche, das weit in das 16. Jahrhundert zurückreichende Kirchenarchiv und die damit untrennbar verbundene Geschichte. In den Emder Gymnasialprofessor Friedrich Ritter, der sich nicht nur um die „Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer“, sondern auch um das Archiv der Stadt Emden verdient machte, fand er einen gleichgesinnten Mitstreiter.

Von Süden her fällt der Blick über den Friedhof und das „Totengräberhaus“ auf die drei Quergiebel der Großen Kirche

Mit seinen zahlreichen wichtigen Arbeiten über das Mittelalter, die Reformationsgeschichte und die Aufklärungszeit in Ostfriesland schuf er eine erste zusammenhängende Kirchengeschichte. Mehrere Jahrzehnte gehörte er zur theologischen Prüfungskommission der Reformierten Kirche. Im Zuge dieser Tätigkeit entstand seine Schrift „Grundlinien der ostfriesischen Kirchengeschichte seit der Reformation“, die als Leitfaden für das Studium der reformierten Kirchengeschichte gedacht war. Für seine kirchenhistorischen Forschungsleistungen verlieh ihm die theologische Fakultät der Königsberger Universität 1921 die Lizentiatenwürde ehrenhalber.

Das „Skizzenbuch“ des Ernst Kochs

Kochs blieb der Emder Gemeinde bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1934 treu. Seine wissenschaftliche Tätigkeit macht ihn bis heute unvergessen.“

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