Zwei große Lieben – ein großes Lied

Die Entstehungsgeschichte von „Lili Marleen“ als Erzähltheater in der Groothuser Kirche

Groothusen. Was hat „Lili Marleen“ mit dem Krummhörn-Dorf Groothusen zu tun? Das hat die Ländliche Akademie Krummhörn-Hinte (LAK) recherchiert und in die Form eines Erzähltheaters gegossen. Aber es ist eine ziemlich verwickelte Geschichte, die davon lebt, dass sich Biographisches, Politisches, Weltgeschichtliches, Kulturelles und Persönliches eng verzahnen.

Doch wer geduldig war, bekam bei der ersten Aufführung dieses Stückes in diesem Jahr in der Groothuser Kirche die Auflösung präsentiert, wobei Original-Tonmitschnitte, Livemusik und Zeichnungen nicht unwesentlich dazu beitrugen, die Sachverhalte verständlich zu machen.

Protagonist der Geschichte ist der Müller-Sohn Klaas Deeters aus Groothusen, gesprochen von Hero-Georg Boomgaarden. Der LAK-Vorsitzende hatte sich für seinen Auftritt in einen schwarzen Gehrock gekleidet, den er vor Jahrzehnten bei einer Haushaltsauflösung auf einem Dachboden fand – natürlich in Groothusen.

Hier spielte sich alles ab: Vor der Kaserne vor dem großen Tor

Sein Erzähl-Subjekt Klaas Deeters wird Lehrer, und er ist ein überzeugter Pädagoge, der seinen Beruf über alles liebt. Doch dann kommt der Erste Weltkrieg, und Deeters wird eingezogen. In der sogenannten Maikäfer-Kaserne in Berlin lernt er Hans Leip kennen, der sich als Dichter, Schriftsteller und Grafiker etablieren möchte. Von Beruf ist er – wie Klaas – Volksschullehrer. Doch da gibt es noch mehr, was die beiden verbindet. Beide sprechen Platt. Beide lieben die großen deutschen Dichter und Philosophen – Goethe, Hölderlin, Kant, Hegel, beide mögen Gedichte und Balladen. Und beide leben gemeinsam in einem privaten Quartier, wo im Keller ein Gemüsehändler sein Geschäft betreibt. Dessen Tochter Betty hat es Klaas angetan. Und das liebreizende Wesen Betty vermischt sich – wie gesagt, die Herren sind literarisch ambitioniert – mit dem der Protagonistin in Goethes Gedicht „Lilis Park“. Aus der angebeteten Betty wird Lili.

Hans, der sich ebenfalls in Betty-Lili verguckt hat, lernt in einer Berliner Galerie eine Frau kennen, die ihn fasziniert – Marleen, eine Krankenschwester. Kurz bevor er an die russische Front geschickt wird, schreibt Leip 1915 in der Nacht vom 3. auf den 4. April die ersten drei Strophen eines Liedes, in dem er darüber nachdenkt, welches Leid der Krieg anrichtet, wenn er liebende Paare voneinander trennt.

Vor der Kaserne bei dem großen Tor
Stand eine Laterne und steht sie noch davor
So wollen wir uns da wieder seh´n
Bei der Laterne wollen wir steh´n
Wie einst, Lili Marleen.

Im feinen Zwirn vergangener Zeiten: Erzähler Hero-Georg Boomgaarden. Bilder: Haarstick

Und da ist er, der Name der beiden Geliebten – „Lili und Marleen“ -, die nun zu einem verschmelzen. Und Leip tat noch mehr. Er komponierte eine Melodie dazu, die aber nichts mit der bis heute bekannten von Norbert Schultze zu tun hatte. Es gehörte zu den schönen Momenten des Nachmittags, dass LAK-Geschäftsführerin Christine Schmidt (Gesang) auch die alte Leip-Melodie einstudiert hatte und mit weicher Stimme vortrug, wobei deutlich wurde, dass der Ursprungssong durchaus seinen Reiz hatte – zumindest so wie Schmidt, die von Mattis Reinders am Keyboard sehr einfühlsam begleitet wurde, ihn präsentierte. Sie sang an diesem Nachmittag im übrigen sämtliche Fassungen des Liedes und weitere, die der Friedensbewegung zugerechnet werden. “Es ist an der Zeit“ (auf Platt: „Suldat Janssen“) oder „Sag mir, wo die Blumen sind“.

Uns’re beiden Schatten sah’n wie einer aus.
Dass wir uns so lieb hatten, das sah man gleich daraus
Und alle Leute soll’n seh’n,
Wenn wir bei der Laterne steh’n,
Wie einst Lili Marleen, wie einst Lili Marleen.

In den 30er Jahren entstehen zwei weitere Strophen, und der ganze Text findet sich schließlich in der Publikation „Die kleine Hafenorgel“ wieder, die 1937 von Hans Leip herausgegeben wurde. Im selben Jahr komponierte der Hindemith-Schüler Rudolf Zink eine lyrisch-melancholische Melodie auf den Text. Doch erst die zwei Jahre später erscheinende Fassung von Norbert Schultze wird zum Hit. Und hier spielt nun eine junge Frau namens Lieselotte Wilke eine Rolle, die als Lale Andersen zum Star wird.

Schon rief der Posten: Sie blasen Zapfenstreich,
Es kann drei Tage kosten! Kam’rad, ich komm‘ ja gleich.
Da sagten wir auf Wiederseh’n.
Wie gern‘ wollt ich mit Dir geh’n,
Wie einst Lili Marleen, wie einst Lili Marleen.

Eigentlich, so sagte Hero-Georg Boomgaarden in seiner Rolle als Klaas Deeters, habe sie gar nicht richtig singen können. Und sie habe auch etwas gegen die Schultze-Fassung gehabt und die Zink-Komposition bevorzugt. Eine Präsentation beider Melodien vor Publikum ergab allerdings ein eindeutiges Bild zugunsten von Schultze, der dem Ganzen schließlich noch ein Zapfenstreich-Intro voranstellte. Somit wurde das Lied bei den Nazis, denen der Song grundsätzlich zu wenig kampfbetont war, doch genehmigungsfähig.

Sorgten in der Groothuser Kirche für eindrucksvolle musikalische Momente: Christine Schmidt und Mattis Reinders

Deine Schritte kennt sie, Deinen schönen Gang,
Alle Abend brennt sie, doch mich vergaß sie lang.
Und sollte mir ein Leid geschen,
Wer wird bei der Laterne stehn,
Mit Dir Lili Marleen, mit Dir Lili Marleen.

Zum Renner wird der Song allerdings erst, als der Soldatensender „Radio Belgrad“ ihn 1941 als abendliche Schlussmelodie spielt. Wie es bei vielen Geschichten aus der Kriegszeit der Fall ist, ranken sich auch hier unterschiedliche Versionen um die Frage, wie der Sender überhaupt an die Platte gekommen ist, die sich im ersten Anlauf nur 700 mal verkaufte und somit eigentlich ein Ladenhüter war. Boomgaarden wählte die Fassung, dass „Radio Belgrad“ nur wenige Platten besaß, die entsprechend der langen Sendezeit in Dauerschleife liefen. Also besorgte man sich Nachschub aus Wien, und unter diesen Platten soll sich auch „Lili Marleen“ befunden haben.

Aus dem stillen Raume, aus der Erde Grund
Hebt mich wie im Traume Dein verliebter Mund.
Wenn sich die späten Nebel drehn,
Werd‘ ich bei der Laterne stehn,
Wie einst Lili Marleen, wie einst Lili Marleen.

Berlin setzte das Lied umgehend auf eine Verbotsliste – wegen seines „morbiden und depressiven Textes“. Doch der Protest war so massiv – „es kamen körbeweise Beschwerdebriefe“-, dass die Nazis nachgaben. Das Lied durfte also jeden Abend gegen 22 Uhr, kurz vor den letzten Nachrichten, gespielt werden. Es wurde so populär, dass auch die Alliierten es sangen, und schließlich gab es Fassungen in rund 50 Sprachen. Als „Friedenshymne“ sorgte es dafür, dass die Kampfhandlungen regelmäßig abflauten, wenn das Lied abends ausgestrahlt wurde. Das höchste Lob aber kam von General Dwight D. Eisenhower, von dem der Satz überliefert ist, dass Leip der einzige Deutsche gewesen sei, der während des Krieges der ganzen Welt Freude gemacht habe.

Tags: