Im Reich des reinen Geistes

Remels. Ein großartiges Programm präsentierten vier Musiker beim 22. Konzert der Gezeiten in der ausverkauften St. Martinskirche in Remels. Sharon Kam (Klarinette), Friederike Starkloff (Violine), Nikolai Schneider (Violoncello) und Endri Nini (Klavier) hatten zwei Schwerpunkte gesetzt: Wiener Klassik und Neue Musik. Es wurde ein Gang von heiter zu sehr ernst.

Spielten das letzte Stück als Quartett zusammen: Friederike Starkloff, Endri Nini, Nikolai Schneider und Sharon Kam. Bilder: Karlheinz Krämer

Das Gassenhauer-Trio mit seinem markanten Variationen-Satz, der ein Thema aus einer komischen Oper der Zeit verarbeitet, ist mit seinem heiteren Duktus sehr geeignet, für Stimmung zu sorgen. Selbst der Mittelsatz mit dem sanglichen Cello-Einsatz hält die freundliche Haltung der Musik. Mit dem Einsatz von Klarinette, Cello und Klavier ist zudem ein abwechslungsreiches Hören sichergestellt.

Mozarts Sonate A-Dur war ein Spiel zwischen Violine und Klavier, die sich umgarnen, anspornen, necken. Hoch komplex und mit einem Violinen-Einsatz, der sich wunderbar leicht durch die beutungsschwere Komposition arbeitet. Besonders der 2. Satz, ein Andante, wurde dabei zum berührenden Moment. Mozart kann Andante, möchte man – zugegeben etwas populär – versichern. Seine langsamen Sätze sind gemeinhin brillant und von bestrickender Schönheit – so auch hier.

Nach der Pause verließ man mit den Musikern, die nun als Quartett formiert waren, den irdischen Raum und betrat eine andere Sphäre. Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“ führte direkt hinein in einen biblischen Text von erschütternder Intensität – in die „Apokalypse des Johannes“ mit ihren starken Bildern und Metaphern, mit Zahlensymbolik und mehrfachem Sinn, der in den voraussagenden Texten sich offenbart.


Messiaen, überzeugter Katholik, Komponist und Ornithologe – komponiert als Gefangener in einem deutschen Straflager und führt das Werk auch dort erstmals auf – vor 400 gebannt lauschenden Mitgefangenen. Gebannt waren auch die Zuhörer in Remels, die das rund 50 Minuten dauernde Stück fasziniert und mit größter Spannung verfolgten. Immer wieder werden Vogellaute immitiert, die lebendige Natur ist stets gegenwärtig in dieser eindrucksvollen Komposition, die den biblischen Text intuitiv erfasst und ausdeutet.

Dreimal werden dabei solistische Parts eingesetzt: Den dritten Satz „Abgrund der Vögel“ bestritt Sharion Kam mit ihrer Klarinette, wobei die Töne oft quasi aus dem Nicht heraufgeholt und die gesamte schillernde Farbpalette des Instrumentes in Anspruch genommen wurde. Im fünften Satz „Lob auf die Ewigkeit Jesu“ war es das Cello, das die Musik in feinste Gespinste auflöst und damit den ersten Satz des Johannes-Evangelium gestaltet: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

Hatte am Klavier den ganzen Abend zu tun: Pianist Endri Nini

Den achten und letzten Satz („Lob auf die Unsterblichkeit Jesu“) gestaltete die Violine, die in aufsteigendem Ton den Weg von der Erde zum Himmel charakterisiert. Das Klavier ist immer gegenwärtig und schafft die Grundlage, auf der die anderen Instrumente das ausdrucksstarke Gesamtbild gestalten, das dem Engel der Apokalypse gewidmet ist. Hier löst sich Messiaen von jeder Erdenschwere und begibt sich in den Bereich reinen Geistes. Das wurde gestalterisch und spielerisch von den vier Musikern in einer Glanzleistung, mit solcher Erfahrung und Leidenschaft umgesetzt, dass das Publikum buchstäblich in Verzückung geriet.

► Zu recht hatte NDR Kultur sich entschieden, dieses Programm aufzuzeichnen. Es wird am 8. Juli ab 20.03 Uhr in der Sendung „Das Konzert“ übertragen.