Staunen über die Ausdrucksvielfalt

Emden. Ein grandioser Abend entwickelte sich am Donnerstag (4. Juli) in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden. Im 34. Konzert der „Gezeiten“ spielten Jan Vogler (Violoncello) und Tiffany Poon (Klavier) Musik zwischen Barock und Romantik. Die Pianistin aus New York, die am Vorabend ihr Debüt im Amsterdamer Concertgebouw gegeben hatte, war für den erkrankten Matthias Kirschnereit eingesprungen.

Treffpunkt Johannes a Lasco Bibliothek: Das Haus war beim Gezeitenkonzert am Donnerstag ausverkauft. Bilder: Karlheinz Krämer

Poon (Jahrgang 1996) pflegt einen ungemein ästhetischen Stil, der die emotionalen Momente in der Musik freilegt und ihnen Ausdruck gibt – durch wirkungsvolle Pausen, durch eigenwillige Gestik, durch stilistische Feinheiten. Das Ergebnis ist in jedem Fall bestechend, eindrücklich und teilte sich dem Publikum in der völlig ausverkauften Bibliothek ganz direkt mit.


Gaben schon Schumanns Fantasiestücke einen Eindruck von der subtilen Interpretationsweise der jungen Frau, die in Hongkong geboren wurde und in New York studierte, so steigerte sich dies in den „Kinderszenen“ um ein Vielfaches. Die kleinen Szenen behandelte Poon äußerst individuell. Sie wechselte die Tempi, ließ größere oder kleinere Abstände zwischen den Miniaturen, setzte bedeutungsschwangere Akzente. Kurz, sie entwickelte aus dem kurzen Zyklus ein lyrisches Gedicht in 13 Strophen.


Der Cellist Jan Vogler (Jahrgang 1964) hatte für seinen Solobeitrag Bachs Suite Nr. 5 für Violoncello solo ausgesucht, ein Werk, das ihm besonders nahe gehe, sagte er selber. Dafür hatte er die Cello-Saite a nach g heruntergestimmt und dem Instrument dadurch eine dunklere, geheimnisvolle Klangfarbe gegeben, so, wie Bach es – angeblich – vorgesehen hatte mit seinem Werk in c-Moll. In der Charakteristik der Tonarten hat das c-Moll im 17. Jahrhundert die Bedeutung „klagend, traurig“. Und so stürzt Bach den Hörer tatsächlich in die Tiefe – befreit ihn allerdings im letzten Satz auch wieder aus dieser Depression. Entscheidend sei, so Vogler, die Sarabande, die als ausdrucksstarkes Lamento komponiert sei. Das hochvirtuose Werk wurde von Vogler mit bravouröser Gelassenheit gespielt, die die ganze Erfahrung des Musikers in sich trug.

Immer wieder einen zweiten Blick wert: das Tee-Präsent für die Künstler

Zum letzten Stück des Abends, Beethovens „Sonate Nr. 3“ in A-Dur waren Poon und Vogler wieder gemeinsam auf der Bühne und zeigten durch ihr wunderbar ausgeglichenes Miteinander, dass sie nicht zum ersten Mal gemeinsam konzertierten. Besonders das von Synkopen geprägte Scherzo machte deutlich, wie sicher und konzentriert die beiden im musikalischen Umgang zu agieren vermögen. Die schöne Melodik des Werkes in allen drei Sätzen und die feinsinnige Umsetzung rissen das Publikum in der ausverkauften Bibliothek zu Beifallsstürmen hin.

Auch die Zugaben blieben dabei nicht außen vor. „Purple Rain“ des amerikanischen Musikers Prince wurde derart bejubelt, dass das Konzert erst mit dem eindrucksvollen langsamen Satz aus der spätromantischen Cello-Sonate g-Moll op.19 von Sergej Rachmaninoff zu Ende ging. Was blieb, war ein Staunen über die unendlich scheinende Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten, die die Musiker in diesem Konzert überzeugend dazustellen vermochten.