Ein Orgelbauer aus Ostfriesland von Welt-Ruf

Zum Tod von Jürgen Ahrend

Von INA WAGNER
Leer. Es war 1985. Da erweiterte Jürgen Ahrend die Orgel der Schweizer Kirche in Emden um ein selbständiges Pedal. 23 Jahre zuvor hatte er, damals noch mit seinem Kollegen Gerhard Brunzema, die Orgel neu gebaut. Nun musste sie noch intoniert werden. „Schauen Sie sich das mal an“, lautete damals der Auftrag des Chefredakteurs an die junge, noch sehr unerfahrene Volontärin.

Handwerksarbeit vom Feinsten: Jürgen Ahrend in seiner Werkstatt. Bild aus der Festschrift „40 Jahre Orgelbau Jürgen Ahrend 1954 bis 1994“

Aus dem Schauen wurde ein Hören, denn die Intonation war ein schauerlicher, lärmerfüllter Akt, bei dem die einzelnen Töne schier endlos lange angeschlagen werden, um eine Feinabstimmung in den Tonhöhen vornehmen zu können. Ahrend war ein Meister in dieser Fertigkeit.

Es wurde Mittag. Er habe Hunger, bekannte der Orgelbauer – und lud zum Essen in eine Pizzeria ein, wo er dann geduldig und freundlich auf die damals noch nicht besonders sachkundigen Volontärsfragen einging. Und er weckte damit das Bedürfnis, mehr über diese faszinierenden Instrumente, ihre Technik, ihre Wirkung zu erfahren.

Jürgen Ahrend hat im Laufe seiner Berufstätigkeit, die 2005 mit der Übernahme der Leeraner Werkstatt durch seinen Sohn Hendrik Ahrend in die nächste Generation überführt wurde, unendlich viele Orgel-Neubauten realisiert, Restaurierungen und Orgelerweiterungen durchgeführt.

Weltweit bekannt wurden Ahrend und Brunzema in den 50er Jahren, als sie den ostfriesischen Orgeln in Rysum, Uttum und Westerhusen ihre mitteltönige Stimmung zurückgaben. Mitteltönig ist die Stimmung bei Tasteninstrumenten, die in der Renaissance und im Barock üblich war. Als Theoretiker stand hinter dieser Entwicklung der niederländische Organologe Cor Edskes (1925-2015), der sich intensiv mit den Orgeln Arp Schnitgers beschäftigte.

Welche Bedeutung diese Rückbesinnung hatte, beschreibt eine Passage auf der Webseite des Orgelbauers in aller Kürze ganz nachdrücklich. „Erste Arbeiten der Werkstatt Ahrend & Brunzema ließen die Fachwelt aufhorchen. Wagten es da doch zwei junge Orgelbauer, inmitten und im Widerstreit zu einer am „Fortschritt“ orientierten Orgelbauszene, sich in ihrer Arbeitsweise nach rückwärts zu orientieren, im konkreten Fall gar die originale mitteltönige Stimmung wiederherzustellen. Und dies nicht im Sinne einer nostalgischen Strömung, sondern aus der Erkenntnis, dass eine qualitative Verbesserung des Orgelbaues nur auf diesem Wege zu erreichen sei.“

Die Arbeit der beiden Orgelbauer im Bereich des norddeutschen Barock-Orgelbaus machte derart Furore, dass viele Kirchengemeinden ihre historischen Orgeln zurückbauen ließen. Zu diesen Instrumenten gehörten unter anderem die Arp Schnitger-Orgeln in der Martinikerk in Groningen, St. Jacobi in Hamburg und Ludgeri in Norden.

Für seine Verdienste um den Orgelbau wurde Ahrend mehrfach ausgezeichnet. So sprach ihm das Land Niedersachsen 1986 den Landespreis für Kultur zu. Die Monash University in Melbourne trug ihm 2000 die Ehrendoktorwürde an. Die Ostfriesische Landschaft ehrte ihn, ebenfalls 2000, mit dem Indigenat, der „Ehrenbürgerwürde“ für Nicht-Ostfriesen, und schließlich verlieh ihm die Stadt Lübeck 2007 den Buxtehude-Preis.

Beim Krummhörner Orgelfrühling war Ahrend von Beginn an involviert. Das Festival 2020 widmete man dem Orgelbauer zu dessen 90. Geburtstag. Allerdings konnte das Programm wegen der Pandemie erst 2022 durchgeführt werden. Der künstlerische Leiter des Orgelfrühlings, Pastor Siek Postma (Jennelt), sagte gestern: „Wir sind erfüllt von Dankbarkeit für das Engagement Jürgen Ahrends für den Orgelfrühling, aber auch für die Freundschaft, die ihn mit uns verbunden hat.“

Jürgen Ahrend wurde 1930 in Göttingen geboren. Seine Lehrzeit verbrachte er zwischen 1946 und 1948 bei dem Orgelbauer Paul Ott, wo er auch den gebürtigen Emder Gerhard Brunzema kennenlernte. Die beiden gründeten 1954 ihre Werkstatt in Loga, bis Brunzema 1971 ausschied und nach Kanada auswanderte. Seither firmiert die Firma unter „Jürgen Ahrend Orgelbau“.

Jürgen Ahrend hat seinen beruflichen und menschlichen Weg bis zum Ende hin konsequent fortgesetzt. Am Donnerstag, dem 1. August, ist er 94-jährig verstorben.