Mit Kelle und Pinsel durch die Schanzen
Neue archäologische Publikation der Ostfriesischen Landschaft
Aurich. Zwischen 2010 und 2013 wurden die Reste zweier großer ostfriesischer Wehranlagen archäologisch untersucht. Jetzt hat die Ostfriesische Landschaft die Ergebnisse der Grabung „Grenzland Festungsland“ publiziert. Es ist ein 550-seitiges Fachbuch mit dem Titel „Dieler Schanze und Festung Leerort. Studien zum frühneuzeitlichen Festungsbau in Ostfriesland“ entstanden, das auf den Erkenntnissen und Analysen des damals zuständigen Archäologen Dr. Andreas Hüser beruht. Gestern, am 7. August, wurde das Buch im Prunkzimmer der Ostfriesischen Landschaft vorgestellt. Mit dabei waren die Sponsoren, die das 17 000 Euro teure Buch finanzieren halfen.
Die Grabung brachte große Mengen an Fundmaterial des 16. bis 18. Jahrhunderts ans Licht, das Aufschluss gibt über Festungswesen, Belagerungstechniken, soziale Hierarchien in den dort stationierten Truppen, aber auch über das Schleifen der Anlagen nach der Aufgabe der Festungsbauwerke als militärische Anlage. „Wir haben uns mit Kelle und Pinsel buchstäblich durch die Festungen gearbeitet“, sagte Hüser bei der Vorstellung des Buches, das einen Katalog der Funde beinhaltet, der allein schon 182 Seiten umfasst. Ein weiterer Teil widmet sich dem archivalischen Bereich, indem die Überlieferung zu den beiden Wehranlagen dargestellt wird. Der geophysikalischen Prospektion – einer grundsätzlich zerstörungsfreien Untersuchungsmethode – ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Schließlich geht es um die archäologischen Grabungen an beiden Standorten. Funde von Tierknochen und deren Bedeutung werden gesondert abgehandelt.
Als „Referenzwerk“ bezeichnet der Leiter des Archäologischen Forschungsinstituts der Landschaft, Dr. Jan Kegler, das Handbuch. Es zeige das „Fundspektrum einer Epoche“, wie sie für den Raum im Nordwesten „bisher noch nicht im Fokus archäologischer Forschung stand“. Dabei gehe es insbesondere um die Zeit des Achtzigjährigen (1568 bis 1648), speziell des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1649). Das Projekt sei mit dieser Verschriftlichung der Ergebnisse abgeschlossen, sagte Hüser. Das Buch könne aber eine Grundlage sein, um weitere Untersuchungen anzuregen.
Während der Fundanalyse ergaben sich überraschende Entdeckungen. So konnte anhand der gefundenen Tierknochen eine deutliche soziale Schichtung innerhalb der Menschen in der Wehranlage ausgemacht werden. So bekamen die Soldaten in den Mannschaftsquartieren der Dieler Hauptschanze als Verpflegung Fleisch von Schafen, Schweinen und Rindern. In der Kommandantur hingegen speiste man feiner. Hier standen Austern, Hase, Wildschwein, Vögel, Fische, Schnecken auf dem Speisezettel. Zudem fanden sich im Bereich der Offiziere auch luxuriöse Dinge wie Glasperlen, Scherben kostbarer bemalter Trinkgläser, ein Fingerring.
Gleich in der ersten Grabungsphase legte der Bagger am Boden des inneren Wassergrabens der Dieler Schanze eine eiserne Kugel frei, die mit einem Holzpflock verschlossen war, berichtet Hüser. Es habe sich um eine Kanonenkugel, eine Mörserbombe, gehandelt, in der sich noch Schwarzpulver befunden habe. Etwa 30 Meter von der ersten Kugel entfernt habe man einen zweiten Blindgänger gefunden. Als die Wehrtechnische Dienststelle 91 in Meppen ein nachgebautes Exemplar der Bombe zur Explosion brachte, habe man ermessen können, welch zerstörerische Wucht diese Kugeln hatten. So seien die Eisensplitter der über 60 Kilogramm schweren Kugel rund 200 Meter weit geflogen. Einen Blechzaun, der auf Sicherheitsgründen hinter der Explosionsstelle aufgebaut worden war, habe die Detonation in winzige Teile zerlegt.
Das Grabungsprojekt hatte eine Vorgeschichte, berichtete Jan Kegler. Es seien nämlich der Geschäftsführer und die Marketingleiterin der Touristik GmbH „Südliches Ostfriesland“ gewesen, die den Anstoß dazu gaben. Kurt Radtke und Insa Wutschke beobachteten, wie die Niederländer ihre Festungen vermarkten. Sie wollten Ähnliches auf deutscher Seite erreichen. „Doch bevor man vermarktet, muss man erst einmal graben“, sagte Kegler, denn beide Verteidigungsbollwerke wurden im 17. und 18. Jahrhundert abgebrochen.
Die Ostfriesische Landschaft stellte einen entsprechenden Antrag für das Projekt „Grenzland Festungsland“. Finanziert wurde das 360 000 Euro-Projekt dann im Rahmen des INTERREG IV A-Programms Deutschland-Nederland mit Mitteln des Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Die Durchführung begleitete die Ems-Dollart-Region (EDR). Der Stellvertretende EDR-Interreg-Geschäftsführer Armin Gallinat sieht in der Förderung eine Kontinuität, wie er im Rahmen der Pressekonferenz sagte. Nach dem „Land der Entdeckungen“, der Imagination des Klosters Ihlow und dem Festungsprojekt setze er durchaus auf weitere Projekte.
Landschaftspräsident Rico Mecklenburg betonte die „herausragende Bedeutung der Funde“, die heute in den Museen von Leer und Weener zu sehen sind. Carsten Rinne, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Leer-Wittmund, regte an, das Thema Festungsbau auch in die Schulen zu tragen. Und Kurt Radtke möchte zunächst eine grenzüberschreitende „Schanzen-Tour“ realisieren.
Andreas Hüser, der inzwischen als Archäologie-Oberrat im Landkreis Cuxhaven arbeitet und das Museum Burg Bederkesa leitet, schwärmt immer noch von den dreieinhalb Jahren, die er in Ostfriesland verbrachte. „Das war eine phantastische Zeit!“
► Das 555-seitige Buch „Dieler Schanze und Festung Leerort. Studien zum Festungsbau in Ostfriesland“ wurde von der Archäologischen Kommission Niedersachsen e.V. herausgegeben. Erschienen ist es im Verlag Marie Leidorf GmbH. Gefördert wurde das Projekt: vom Land Niedersachsen, dem Landkreis Leer, der Ostfriesischen Landschaft, der Sparkasse LeerWittmund, dem Interreg-Programm, der Stadt Weener. ISBN 978-3-89646-943-4. Das Buch kostet 79,80 Euro und ist über den Handel zu bekommen.