Über Horizonte und ihre Erweiterung
Aurich. Die Ostfriesische Landschaftliche Brandkasse hat in Aurich ihren neuen Kunstkalender für 2025 vorgestellt, und am Ende der fast zweistündigen Pressekonferenz stellte Vorstandsvorsitzender Thomas Weiss fest, dass der Kalender ein „gelungenes Gesamtkunstwerk“ darstelle. Denn neben erstklassiger Kunst enthalte er vielfältige Geschichten, die sich hinter den Bildern und ihren Schöpfern verbergen.
Der Kalender bietet zwölf Ansichten von Kunstwerken von ebensovielen Künstlern. Sie zeigen Positionen zwischen gegenständlich bis abstrakt aus nahezu 100 Jahren. Denn das älteste Bld stammt von Ulfert Lüken, der die „Ansicht von Timmel“ um 1930 malte, die jüngste Arbeit ist von Marikke Heinz-Hoek, die mit „Caspar David Friedrich am Wattenmeer“ ein Bild vorlegt, das nicht nur den Künstler-Jubilar ehrt, sondern das zudem in diesem Jahr mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) entstand. Zum erstan Mal habe sie das ausprobiert, erklärte Marikke Heinz-Hoek, die eigens aus Bremen zur Vorstellung nach Aurich gekommen war. Der künstlerische Wert der Arbeit bestehe darin, dass die Bildidee und ihre Umsetzung in ihrem Kopf entstanden sei, während ein Programm nach ihren Anweisungen die praktisch-künstlerische Umsetzung leistete.
Bindeglied für die Abbildungen ist der Titel „Weit hinten der Horizont“. Dies ist eine Zeile aus dem Gedicht „Alte Heimat, alte Bekannte“ von Jochen Schimmang, das die Rückseite des Kalenders ziert und für die künstlerischen Arbeiten einen Maßstab vorgibt: Hermann Buß zeigt in „Schwarzes Eis“ von 2010 den am höchsten gelegenen Horizont, während Hartmut Bleß‚ „Landschaft mit Windkraft“ von 2016 den tiefliegendsten zeigt. Doch ist der direkte Bezug brüchig, denn jeder einzelne Betrachter könne bem Betrachten der Bilder auch „seinen eigenen Horizont erweitern“, wie Dr. Annette Kanzenbach anmerkte. Sie verantwortet zum zwölften Mal die Auswahl der Kunst im Kalenders und wurde dabei von Landschaftsdirektor Dr. Matthias Stenger, Thomas Weiss und Signe Foetzki, Pressesprechern der Brandkasse, als Juroren unterstützt.
Die ausgewählten Arbeiten bilden ein breites Spektrum ab, dessen Wirkung noch vertieft wird, weil „Landschaften immer auch eine Zusammenfassung sind“, wie Hartmut Bless sagte. So wird das vielschichtige Ostfriesland in den Arbeiten auf einen Augenblick verdichtet, in dem bestimmte Wolkenformationen tiefen Ausdruck verleihen, Wellen auflaufen, Landschaften wechseln. Dazu zählt etwa die strukturelle Arbeit von Renate Fäth, die Fäden, Pasten und andere Materialien nutzt, um der Mischtechnik „Meeresgrün“ (2022) Dreidimensionalität zu geben.
Eine besondere Geschichte verbirgt sich hinter der Himmelslandschaft von Elisabeth Tatenberg. „Letzte Mondsichel“ ist tatsächlich auch ihre letzte Arbeit. Ihr Partner, Jan Timmer, berichtete, dass die 2022 verstorbene Künstlerin noch Anweisungen hinterlassen habe, wie das Gemälde weitergestaltet werden solle. Doch dazu kam es bisher nicht. Auch wenn Tatenberg das Bild habe weiterführen wollen, so sei es aus ihrer Sicht als „fertig“ zu betrachten, erklärte Annette Kanzenbach, warum sie gerade diese Arbeit von Elisabeth Tatenberg ausgewählt habe.
Die gebürtige Taiwanesin Wan-Yen Hsieh, die seit 2005 in Norden lebt und arbeitet, hat ein Gemälde von inhaltlicher Tiefe für den Kalender begesteuert. Ausgangspunkt für „Orpheus“ (2022) war der Bildhintergrund in flammenden Rot-Tönen. Sie habe die Assoziation von „Hölle“ gehabt und sofort an den mythologischen Sänger Orpheus gedacht, der versuchte, Eurydike aus dem Totenreich zurückzuholen. Die vielfältigen Assoziationen, die sich daraus ergäben, hätten zu dem vorlegenden Bildmotiv geführt.
Herbert Müllers Ansicht „Marienchor, Rheiderland“ von 2021 zeigt einen Wandel. Müller, dem bisher der Krummhörner Himmel als Maßstab galt, entdeckte das besondere Flair, den Reiz und die Stimmung des Rheiderländer Klimas. „Den Krummhörner Himmel kenne ich, aber im Rheiderland kann man noch eins draufsetzen!“ Naturerlebnisse sind es auch, die das Werk von Bodo Olthoff bestimmen. Der gebürtige Emder, der in Aurich lebt, erklärt Ostfriesland und die Seefahrt zu seinen Themen. Sein Bild „Sommermorgen“ von 2005 verknüpft die Elemente der Landschaft miteinander und veranschaulicht in diesem Fall Erlebnisse in Leybuchtsiel, wo er selber einmal über Bord ging und beinahe ertrank. „Bin ich aber nicht“, stellte der 84-Jährige mit humorvoller Attitüde fest.
Zu den „Alten“ zählt neben Ulfert Lüken auch Carl Jörres (1870 bis 1947). Sein Bild „Brandung bei Sturm. Langeoog“ von 1934 tränkt die Natur mit phantastischem Licht und ist im Bereich der Freiluftmalerei angesiedelt. Zwei Fotographien bringen ein weiteres Medium ins Spiel. Edith Pundts Aufnahme „Vor Jemgum. Rheiderland, 22. 08. 2007, 16:47 Uhr“ korrespondiert mit Ulrich Schnelles Arbeit „Winterabend am Dollart, 23. 02. 2016, 18:07 Uhr“ – das eine ein Blick über Land, das andere ein Blick über das Wasser – beides massiv dominiert von malerischen Wolkenformationen.
Die ersten Reaktionen auf den Kalender, der von der Landschaftlichen Brandkasse bundesweit verteilt, aber auch verkauft wird, seien positiv. Wenn es unaufgefordert Rückmeldungen zu einem Produkt gebe, dann sei das erfreulich. In so fern sei man stolz auf den Kalender, meinen Thomas Weiss und Landschaftspräsident Rico Mecklenburg.
► Der Kalender „Weit hinten der Horizont“ ist in einer Auflage von 1000 Stück erschienen. Er ist über den Buchhandel zu bekommen (ISBN 978-3-940601-77-3) und kostet 19,80 Euro. Bestellen kann man ihn aber auch über die Ostfriesische Landschaft (Tel. 0 49 41 / 17 99 26)