Auswirkungen bis in die Gegenwart
Emden. Ist „Aufklärung“ ein Begriff, der abschreckt? Ist die Aufforderung, den Intellekt voranzustellen und Verantwortung zu übernehmen, so schwer verständlich? Oder ist der Begriff für die Epoche im 18. Jahrhundert gar so sperrig, dass man damit nichts anfangen kann?
Möglich ist das alles. Aber was die Ausstellung der Johannes a Lasco Bibliothek unter dem Titel „Die Zeit der Aufklärung in Ostfriesland“ auf die Beine gestellt hat, weckt die Erwartung, dass sich doch viele finden mögen, die sich von der farbigen Präsentation zwischen Theologie und Naturforschung, zwischen Möbeln und Silber, zwischen Büchern und Bildern faszinieren lassen und für sich selber „Honig“ saugen werden.
Die Besucher der Eröffnung, die am Sonntag im Rahmen des „Denkmaltages“ stattfand, konnten staunen, denn der biographische Ansatz der Präsentation bot allerlei Erheiterndes und Ungewöhnliches. Pastoren, die Zweitberufe hatten und handfest als Uhrmacher, Tabakhändler oder Apotheker arbeiteten. Pastoren, die aufgrund ihrer aufklärerischen Prägung mit ihrer Gemeinde in Streit und in Lebensgefahr gerieten oder auch ihres Amtes enthoben wurden.
Hintergrund war dabei, so erklärte der Kurator der Ausstellung, Dr. Klaas-Dieter Voß, die Geisteshaltung der Aufklärung, die im pietistisch gesinnten Ostfriesland „wenn überhaupt – nur sehr langsam an Akzeptanz“ gewinnen konnte. Die neue Denkart traf auf ein Land, in dem der reformierte Westen die Entwicklung kritisch sah, während der lutherische Osten sich damit leichter tat, da die Pastoren zumeist im aufklärungsfreundlichen Mitteldeutschland ausgebildet wurden. Die Folge: „Man verstand sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht.“
Unter den Emder Pastoren, die der Aufklärung zugetan waren, befand sich auch der Pastor der französisch-reformierten Gemeinde, Philipp Jacob Wenz. Er gehört zu den Förderern der Naturforschenden Gesellschaft und schenkte dem Verein eine Sammlung von Dermoplastiken. Und so zeigt die Ausstellung nicht nur glanzvolles Silber, inhaltsreiche Briefwechsel, prächtige Miniaturmöbel und bedeutsame Bücher, sondern eben auch einige schöne Stücke aus der Sammlung der Naturforschenden, die die Kriege überstanden haben und bis heute bewahrt werden. Voß hat eigens für diese Stücke eine Vitrine im Stil des 19. Jahrhunderts fertigen lassen.
Mit dem Pastor Helias Meder verbindet sich eine weitere Geschichte. Seine Tochter Ockje war nämlich mit einem Baron von Ittersum verheiratet, der ein Landgut in Zwolle hatte. Ockje erbte zwei Bildnisse ihres Vaters, die quasi verschollen waren und erst durch einen Zufall aufgefunden werden konnten. Nach 200 Jahren, so sagte Voß, könnten sie nun wieder in Emden gezeigt werden.
Der wissenschaftliche Leiter der Bibliothek, Professor Dr. Kestutis Daugirdas, betonte die Einbettung der Ausstellung ins Kant-Jahr. Zugleich sieht er sie als Beitrag, um in Zeiten zunehmender Verunsicherung wieder auf einen Wertekanon hinzuweisen, der insbesondere rationale Kritik, Toleranz und Verantwortungsbewusstsein umfasst.
Bestandteil der Eröffnung war eine kleine Sonntagsmatinée mit Musik aus der Epoche der Aufklärung, die unter dem Motto „Lob der Vernunft“ Musik dreier Komponisten vorstellte. Die dreisätzige Kantate von Bach „Ich bin vergnügt mit meinem Glücke“ aus dem Jahr 1727 zeige das Verhältnis von Mensch und Natur auf, die Utopie eines Lebens in Einfachheit, wie Daugirdas betonte. Dem Menschen werde zugetraut, der Natur durch methodische Forschung ihre Geheimnisse zu entlocken. Zum Kanon gehörte auch eine Triosonate von Carl Philipp Emanuel Bach sowie die Arie „Nun beut die Flur das frische Grün“ aus Haydns „Schöpfung“. Funkelnde musikalische Juwelen für eine Ausstellung, die viele Entdeckungen bereithält und eine Epoche entschlüsselt, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen – auch in Ostfriesland.