Geschichte einer Emder Zuckerware
Emden. Als Ende der 80er Jahre ein Emder Journalist die Stadt verließ, um künftig in Ulm zu arbeiten, da dauerte es nicht lange, bis aus Baden-Württemberg ein Hilferuf in der Seehafenstadt einging: „Schickt mir doch ein paar Tüten ,Echte Emder‘.“ Der Genuss der Eucalyptus-Mentholbonbons war ihm in seiner Zeit in Emden zu einer festen Gewohnheit geworden.
Die „Echten Emder“ sind eine beliebte Süßigkeit, die ursprünglich aber in einem medizinischen Zusammenhang von Heiserkeit, Erkältung und Atemwegserkrankungen als Linderungsmittel produziert wurde. Und diese Bonbons waren in der jüngsten Neuen Dienstagsrunde von 1820dieKUNST ein Thema. Der Referent, Historiker Dr. Benjamin van der Linde, war berufen, über die Firmengeschichte von OPIFERA und über die „Emder Zuckerwarenfabrik“ zu berichten, hatte doch sein Urgroßvater Carl van der Linde die Firma gegründet.
Van der Linde berichtete, dass ihn das Thema seit rund 15 Jahren umtreibe, dass aber besonders die Pandemie-Zeit ein Ansporn gewesen sei, die Suche zu intensivieren. Klar war auf jeden Fall, dass die Emder auf solch ein Thema anspringen – steht einem doch umgehend die gelbe Tüte vor Augen, wenn von den „echten Emdern“ die Rede ist. Und so war der Rummel der Rathauses am Delft wohl gefüllt, als Benjamin van der Linde aus der Geschichte seiner Familie berichtete.
Es war Wirtschaftsgeschichte, aber durch die lockere Form des freien Sprechens und die Tatsache, dass die Besucher die Produkte des Unternehmens bestens kennen, breitete sich eine fast familiäre Stimmung aus, die noch unkomplizierter wurde als KUNST-Vorstandsmitglied Johannes Berg mit den Bonbons herumging und jeder zugreifen durfte.
Van der Linde legte seinen Vortrag chronologisch an und stellte damit auch seine Familie vor, die 1804 aus der niederländischen Provinz Zeeland nach Ostfriesland kam, sich zunächst in Weener niederließ und in den 1870er Jahren nach Emden zog. Zwei Mitglieder der Enkelgeneration, Jacob (1879 bis 1966) und Claas (1881 bis 1966) van der Linde wurden dann 1902 die Gründer der Zuckerwarenfabrik. Die Firma zog innerhalb Emdens häufiger um, residierte in einem schönen Haus Zwischen beiden Sielen, war auch wohl direkt neben der Kaiser-Friedrich-Schule zu finden, produzierte zum Schluss in der Sleedriverstraße.
Nach dem Krieg produzierten die Van der Lindes – neben den Eukalyptus Menthol Bonbons – Ostfriesische Brustkaramellen ohne Menthol und eine Zeitlang auch Lakritzbonbons. Doch nicht allein die gelben, roten und schwarzen Tüten zeichneten OPIFERA aus. Nicht zu vergessen sind auch die Emder Kissen, Pfefferminzbonbons mit roten Streifen. Daneben gab es aber auch Marzipan, Fondant-Fguren und andere Zuckerwaren. Werbung entstand – mitsamt Reimsprüchen, Gesundheitsversprechen und passenden Zeichnungen ebenfalls im eigenen Haus:
„Bei starkem Husten wird Dir wohl, nimmst Du OPIFERA-Menthol.“
„Brustkaramellen sind hingegen für Leute, die Menthol nicht mögen.“
„Doch hast Du ’s tief im Magen sitzen, hilft Dir OPIFERA-Lakritzen.“
In der Produktion waren immer vier oder fünf Frauen als Süßwarenpackerinnen tätig. Bonbonkocher war Gerhard Huismann. Die Zeiten vergingen – und wurden nicht besser. Hatte OPIFERA zuvor mit Handelsvertretern gearbeitet und seine Produkte über Kioske, Apotheken und Drogerien angeboten, kamen in den 60ern die Supermärkte auf und entfachten einen Preiskampf, dem die Zuckerwarenfabrik nicht standhalten konnte. 1986 wurde die Firma – nach 84 Jahren – schließlich verkauft. Und so gibt es die Bonbons noch heute – immer noch in der gelben Tüte, auch wenn diese nicht mehr mit der typischen Jugendstil-Ornamentik versehen ist.
► Benjamin van der Linde „Die Emder Zuckerwarenfabrik C. v. d. Linde und Eckhoff und OPIFERA. Eine Firmen- und Familiengeschichte von 1902 bis 1986“, Hamburg 2021. Die Broschüre ist im Eigenverlag erschienen und nur über den Autor zu beziehen: vdlinde@gmx.de