Appell für die alte Bausubstanz Ostfrieslands
Emden. Die Region Ostfriesland ist reich an historischer Bausubstanz. Nur müsste man sie stärker sichtbar machen. Diesen Appell fasste der Architekt und Denkmalsachverständige, Diplom-Ingenieur Kai Nilson, in einem Vortrag zusammen, den er vor Mitgliedern von 1820dieKUNST und Gästen im Rummel des Rathauses am Delft hielt. Nilson regte an, dieses bauliche Vermächtnis nicht nur zu erhalten, sondern auch als Alleinstellungsmerkmal für die Region stärker in den Vordergrund zu rücken und zu würdigen.

Nilson listet allen 138 historische Kirchen und eine Vielzahl an Steinhäusern auf, die sehr wohl in der Lage seien, selber ihre Geschichte zu erzählen und ihre Herkunft kenntlich zu machen – wenn man ihre architektonische Sprache verstehe. Von mehr als 600 Standorten von Steinhäusern, die inzwischen festgestellt werden konnten, seien allerdings nur wenige als Bauwerke erhalten geblieben.
In einem von ihnen wohnt Kai Nilson. Er bekam von der Kirchengemeinde das Angebot, das Steinhaus in Nesse zu kaufen. Inzwischen restauriert, sei das Haus aus dem 14. Jahrhundert in nahezu “reiner Form“ erhalten, ebenso wie das Steinhaus in Bunderhee und die Harderwykenburg in Leer.

Älter noch als die Steinhäuser sind die frühen Steinkirchen Ostfrieslands. Backsteine für den Bau kenne man seit 1200. Zunächst war es rheinscher Tuffstein, der für den Kirchenbau in der Romanik verwendet wurde. Beispiele hierfür seien die Kirchen von Nesse und Arle. Der Stein war den klimatischen Bedingungen der Küste aber nicht gewachsen und wurde durch Backsteine abgelöst, die man vor Ort brannte – eine Fertigkeit, die anscheinend durch die Mönche ins Land kam. Für den Kirchenbau der Gotik, beziehungsweise für die markante Zwischenstufe – die Romanogotik – führte Nilson die Kirchen von Marienhafe, Pilsum und Eilsum an. Für die Spätgotik die Kirche zu Hinte. Hier befinde sich in der nebenstehenden Burg auch ein Steinhaus – das mit den Jahrhunderten von anderen Burgkomplexen umbaut wurde.

Besonders aufgearbeitet hat Nilson die Geschichte „seines“ Steinhauses. Dabei kamen dann hübsche historische Details ans Licht. Denn das Haus, das seit 1510 als Pfarrhaus diente, sollte 1961 abgerissen werden. Das habe die Ostfriesische Landschaft gerade noch verhindern können. Das Steinhaus stand bis 2021 auch nicht unter Denkmalschutz. Nach 25 Jahren Leerstand kam es dann in Nilsons Hände, der entdeckte, das drei seiner Vorfahren – allesamt Pastoren – in dem Haus gelebt haben.
Ein weiteres Objekt, das Nilson realisierte, ist die Restaurierung des Hooge Huus in Wolthusen – ein Gebäude der Renaissance, zwischen 1610 und 1630 errichtet. „Ein repräsentativer Herrschaftsbau, der aber nie eine Burg war“, sagt Nilson. Während die rückwärtige Fassade heute wieder alle architektonischen Züge des ursprünglichen Zustandes trägt, wurde die Vorderansicht im Stil des 19. Jahrhunderts belassen, bedauert der Architekt. Denn hinter dem bürgerlich braven Aussehen verbirgt sich unter dem Putz ebenfalls eine Renaissance-Fassade. Das genaue Nachforschen durch den Denkmalschutz sei hier unterlassen worden. „Bei genauerem Hinschauen hätte man das sofort gesehen!“