Nicht für den Elfenbeinturm

Aurich. Dr. Heiko Suhr leitet seit einem Jahr die Landschaftsbibliothek in Aurich – ausreichend Zeit, um sich einzuarbeiten und eigene Strukturen in die Wege zu leiten, wie er selber sagt: „Ich bin angekommen!“ Angekommen ist er auf einer abwechslungsreichen Stelle. Dafür sorgen die Einbindung in die Ostfriesische Landschaft, die latente Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Aurich, aber eben auch die Vielfalt der Aufgaben bibliothekarischer Art. Was ihn da derzeit am meisten beschäftigt? Die Digitalisierung und die Anwendungsmöglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, sagt Suhr. Da sei vieles im Wandel, und vieles müsse bedacht werden. Und so interessant die Innovationen auch seien, man stehe damit auch in einer hohen ethischen Verantwortung, um die Nutzung transparent zu halten und Missbrauch zu verhindern.

Dr. Heiko Suhr vor einem Plakat, das auf seine jüngste Ausstellung verweist „Zeitreise über Ostfriesland“. Bild: Sebastian Schatz, OL

Seine Hauptaufgabe sieht Suhr in der historischen Arbeit, obwohl er hier eine Verschiebung der Schwerpunkte registriert. Er möchte zwar durchaus selber wissenschaftlich arbeiten – und tut dies auch. Noch wichtiger sei ihm allerdings der Ansatz, wissenschaftliche Arbeit in seinem Haus zu ermöglichen und Strukturen für die Forschung zu schaffen. Dazu gehören aus Sicht des gebürtigen Aurichers nicht nur technische Voraussetzungen, sondern auch Einrichtungen, die – anders als in den Niederlanden – in Deutschland eher ungewöhnlich sind. So halten die Bibliotheken jenseits der Grenze ein Café im Gebäude vor, damit ein Nutzer das Haus gar nicht erst verlassen muss, wenn er eine Pause einlegen möchte.

Wichtig sei aber auch, die Bibliothek in einen Lernort für Schüler umzugestalten. Schon jetzt kämen viele junge Leute, um in Ruhe Hausarbeiten zu machen oder Recherchen vorzunehmen. „Ein angenehmes Umfeld, an dem man verweilen kann“, soll die Landschaftsbibliothek dabei sein – das ist die generelle Ausrichtung. „Wir bewahren die Bücher ja nicht für den Elfenbeinturm auf.“ Um dies Ziel zu verwirklichen, sei es eben nötig, die Bibliothek zugänglich zu machen und für neue Kreise zu erschließen, um Geschichte auf breiterer Basis zu vermitteln und deren Stellenwert deutlich zu machen.

Von seinem Vorgänger, Dr. Paul Weßels, habe er die Landschaftsbibliothek in perfektem Zustand übernommen. Da das Grundgerüst stehe, die Mitarbeiter eingearbeitet seien, blieben ihm allenfalls Details, um eigene Schwerpunkte zu setzen – etwa bei Neuanschaffungen von Büchern. Aber die Bibliothek ist nicht das einzige Betätigungsfeld für Suhr. Gemeinsam mit dem Leiter des Landesarchivs, Dr. Michael Hermann, hat Suhr ein Tagungsprogramm für 2025 aufgestellt. So wird schon für Februar eine Veranstaltung gemeinsam mit den Deichachten zur Sturmflut 1825 vorbereitet. Das Ende des 2. Weltkriegs jährt sich zum 80. Mal. Auch aus diesem Anlass soll es eine Tagung geben, die sich mit den Themen Entnazifizierung und den Plänen der Niederländer zur Annexion im Grenzgebiet befasst.

Der 400. Todestag des Gelehrten und ersten Rektors der Groninger Universität, Ubbo Emmius, wird mit einem „Tag der ostfriesischen Geschichte“ gewürdigt. Im Plan ist auch das Thema „Polizei im Nationalsozialismus“, das gemeinsam mit dem Landesarchiv und der KZ Gedenkstätte Engerhafe realisiert werden soll. Die Belebung der deutsch-niederländischen Kontakte steht für Suhr ebenfalls auf der Themenliste. Da kann er an Vorarbeiten seines Vorgängers anknüpfen. Ein Deutsch-niederländisches Historikernetzwerk besteht bereits. „Es ist aber mit der Pandemie eingeschlafen und muss neu belebt werden.“ Ebenso wichtig ist dem 41-Jährigen die Zusammenarbeit mit der Frijske Akademie in Leeuwaarden.

Wenn sich Suhr selber wissenschaftlich vertieft, wählt er biographische Zugänge. So schrieb er seine mit „summa cum laude“ bewertete Dissertation über den Geheimdienstchef Wilhelm Canaris. Er beschäftigte sich mit dem aus Leer stammenden Spion Hilmar Dierks oder mit dem Juristen und Politiker Georg von Eucken-Addenhausen aus Neuharlingersiel oder mit Hermann Conring, Ministerialbeamter während der NS-Zeit. Auf seinem Themenzettel steht derzeit der liberale Politiker Jann Berghaus, der nach dem Zweiten Weltkrieg Präsident der Ostfriesischen Landschaft war. Dessen Lebenserinnerungen seien eine gute Grundlage für eine Biographie, meint der Historiker.

Heiko Suhr legte sein Abitur 2003 am Ulricianum in Aurich ab, studierte in Vechta Geschichte, Politik- und Erziehungswissenschaften. In Vechta promovierte er auch. Danach arbeitete Suhr bei der Stiftung Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv in Aurich, ehe er als Leiter und Archivar zum Stadtarchiv nach Wesel wechselte. Seit November 2023 ist er Leiter der Bibliothek der Ostfriesischen Landschaft.