Chronologie eines Literaten-Lebens

Emden. Der Lesung mit Werken des Schriftstellers und Satirikers Kurt Tucholsky (1890 bis 1935) haben rund 160 Besucher gelauscht. Eingeladen hatte die Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek, die den Rezitator Hermann Wiedenroth engagiert hatte. Dieser verfügt in Emden mittlerweile über eine regelrechte Fan-Gemeinde und konnte bei seiner zehnten Lesung in der Bibliothek auf ein gespanntes Publikum rechnen.

Volles Haus: Hermann Wiedenroth und Gäste bei der Tucholsky-Lesung in der Johannes a Lasco Bibliothek. Bilder Wolfgang Mauersberger

Wiedenroth legte seine Lesung „Kurt Tucholsky – ‚Ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze‘. Satiren, Gedichte und Briefe“ chronologisch an. Das war dem Überblick über das Werk Tucholskys dienlich, denn so konnte der Rezitator und Archivar aus dem Vollen schöpfen und aus einem riesigen Fundus auswählen – Heiteres und Ernstes, Satirisches und Kommentierendes, Historisches, Politisches sowie Literarisches hielten sich bei dieser Auswahl die Waage.


Wiedenroth verfügt nicht nur über eine geschulte Stimme, sondern ist auch mit der Fähigkeit begabt, toternsten Aspekten hemmungslos Grottenkomisches entgegenzusetzen. So erschien Tucholsky als ein Mensch in seiner ganzen Vielschichtigkeit, aber auch in seinem Genie, seiner Fähigkeit, aus Goethes „Osterspaziergang“ eine politische Kritik zu entwickeln oder – ebenfalls in einem Gedicht – in schönster begrifflicher Direktheit, Politiker wie den Propagandisten „Jöbbels „zu entlarven oder Dialoge von messerscharfer Skurrilität zu entwickeln. So kippt der mühsame Versuch eines Ehepaares, einen Witz zu erzählen, plötzlich um, und es wird klar, es geht hier in Wirklichkeit um eine endgültige Trennung des Paares, um ihre bevorstehende Scheidung.


Wiedenroth begann mit der ersten Publikation Tucholskys von 1907, einem „Märchen – anonym“, in dem eine Flöte eine entscheidende Rolle spielt. In Geschichte Nr. 2 werden Kartoffeln zu Friedensstiftern. Der Antiquar aus Bargfeld (bei Celle) hatte in der reichen Fülle der Literatur gestöbert und aus dem Riesenwerk Tucholskys besonders schöne Perlen herausgefiltert. Dazu zählen auf jeden Fall die Geschichten um Herrn Wendriner, zumeist Gespräche von vermeintlicher Banalität, die das Zwischenmenschliche thematisieren und hierbei entlarvende Mechanismen gesellschaftlichen Zusammenlebens aufdecken.

Begrüßte Wiedenroth: „Freunde“-Vorsitzender Harald Groenewold

Eine von Tucholsky verfasste Vita, die er benötigte, um die schwedische Staatsbürgerschaft zu erlangen, gab Lebensstationen des Künstlers aus eigener Sicht preis und komplettierte das Bild, das man sich anhand der Texte von dem Literaten gemacht hatte.

Für eine biographische Außensicht sorgte zudem ein Blick des Kollegen, des Literaturkritikers Fritz J. Raddatz auf Tucholsky. So schloss sich der Kreis, und wenn es auch quasi nur Appetithappen aus einem reichen Oeuvre waren, die Wiedenroth vortrug, so war seine Auswahl doch derart, dass sich ein geschlossenes Ganzes daraus entwickelte.

Wie stets bei den Veranstaltungen der „Freunde“ war die Buchhandlung am Rathaus mit einem Büchertisch passend zum Thema des literarischen Abends präsent. Ebenso gab es eine vom Freundeskreis organisierte, ehrenamtlich beschickte Getränke-Theke.