Die Lösung liegt in den letzten drei Worten
Es war ein frostiger Novemberabend, kurz vor Mitternacht. Nebelschwaden verhüllten die schmale, von Bäumen gesäumte Landstraße in Südwales, und vom nahen Bristolkanal tutete alle paar Sekunden ein automatisches Nebelhorn melancholisch herüber.
Emden. Das war ungewöhnlich – in vielerlei Hinsicht. Die Landesbühne Wilhelmshaven hatte zum Krimiabend mit „Der unerwartete Gast“ von Agatha Christie eingeladen, und 350 Besucher waren ins Festspielhaus am Wall gekommen, darunter viele junge Leute. Der Krimi selber lebt nicht von der Überführung eines Täters, sondern von der psychologischen Vielfalt der Möglichkeiten. Denn letztlich hätte nahezu jede der handelnden Personen einen Grund, den einstigen Großwildjäger Richard Warwick umzubringen.
Dabei wird das Publikum gründlich an der Nase herumgeführt. Die anfängliche Konstellation ist zwar völlig einleuchtend: die Ehefrau war es. Doch schnell kommen Zweifel auf. Da ist der Bruder, die Mutter, der Buttler, die Haushälterin oder war es doch der Lover der Ehefrau? Alle hätten ein Motiv. Doch das Mäandern von Person zu Person ist müßig. Denn das Geheimnis liegt in den letzten drei Worten begründet, die auf der Bühne gesagt werden. Solange musste sich das Publikum rund zwei Stunden gedulden. Doch es waren kurzweilige Stunden, denn Agatha Christie (1890 bis 1976) versteht nun einmal ihr Handwerk und baut Spannungsbögen auf, die einleuchten, die aber zugleich wieder neue Fragen aufwerfen. Und sie macht dies mit solch schlüssiger Argumentation, dass man sich an der schillernden Logik erfreuen kann.
Wie alles zusammenpasst, zeigte das Ensemble der Landesbühne mit einem zehnköpfigen Team auf einer Bühne, die ein in den Garten führendes Arbeitszimmer zeigt. Man spürt sofort, dass dieses Zimmer nur in Großbritannien zu finden sein kann. Es ist ausgestattet wie ein Raum der viktorianischen Zeit, und durch die offene Tür dringt dichter Nebel ins Zimmer und verdüstert die Szenerie. Very british, also.
Doch nun tritt in dieses Umfeld ein Mann, der kaum weniger spannend gezeichnet ist. Er entdeckt umgehend den Toten, und hat auch die Frau mit der Pistole in der Hand sogleich im Blick. Doch sonderbarerweise holt er angesichts der offensichtlichen Situation nicht die Polizei, sondern versucht mit allerhand Tricks, die Ehefrau aus ihrer Rolle als Täterin zu lösen. Natürlich merkt man, dass da etwas nicht stimmt, aber was? Getragen von diesem, zunächst diffusen Gefühl braucht die Handlung keine Action-Szenen oder Handgreiflichkeiten, um spannend zu bleiben Denn das Geschehen spielt sich vorwiegend im Kopf ab – und der hat ja im allgemeinen viele phantasievolle Kopplungsmöglichkeiten.
Die Landesbühne aus Wilhelmshaven brachte unter der Regie von Christine Bossert ein Stück auf die Bühne, das zwar vom Namen der großen Dame des Krimis lebte, das aber durch eine gute Besetzung, ein passendes Bühnenbild, etwas dramatische Musik und viel Nebel dennoch Freiraum fürs Mitdenken gab. Der lebhafte Beifall dankte den Spielern für ihre ganz ausgezeichnete Leistung – und wurde belohnt mit einer komplett durchchoreografierten Schlussverbeugung des Ensembles. Fazit: Gerne wieder!
► Es spielten: Simon Ahlborn, Aida-Ira El-Eslambouly, Stefan Faupel, Sven Heiß, Sibylle Hellmann, Andreas Möckel, Félicien Moisset, Christoph Sommer, Jeffrey von Laun und Anne Weise