Vielfalt als Prinzip
Emden. Die Kunsthalle zeigt bis zum 11. Mai 2025 unter dem Titel „Floating Spheres“ rund 70 Arbeiten der japanisch-schweizerischen Künstlerin Leiko Ikemura, für deren Werk Lisa Felicitas Mattheis, wissenschaftliche Direktorin des Hauses, im Vorwort zum Katalog einen musikalischen Vergleich findet: „Ihre Arbeiten auf Papier, ihre Gemälde, Plastiken, Fotografien, Videos und nicht zuletzt ihre schriftlichen Äußerungen in Form von Gedichten und Haikus müssen ganzheitlich – und zwar als Sinfonie – begriffen werden.“
Ikemura, ihr Mann Philipp von Matt und ein Assistent haben die Ausstellung eingerichtet und dabei die vielfältigen Facetten ihrer Kunst einzelnen Räumen zugeordnet. So entstand eine Komposition mit verschiedenen „Sätzen“. Jeder einzelne „Satz“ kennzeichnet einen anderen Schwerpunkt, eine Werk-Phase, einen neuen Aspekt. So wandert man durch das künstlerische Leben Ikemuras und erlebt den Fortgang ihrer ganzheitlich gedachten Positionen.
Am Beginn stehen sich in Raum 1 zwei Werke gegenüber, die im Werk Ikemuras stellvertretend für „früher“ und „später“ stehen. Ein Gemälde stammt aus den 80er Jahren, das andere ist eine Installation von 2015/20. Sie habe die Arbeit der 80er Jahre für „zu unreif“ gehalten, urteilt sie selber. Doch bei erneuter Betrachtung habe das große Format ihren Ansprüchen doch standgehalten. Und so werden die Besucher der Kunsthalle begrüßt von einem Baummotiv mit abstrakter Farbkombination, das zugleich auf ein wesentliches Thema von Ikemura aufmerksam macht: die Naturverbundenheit.
Das zweite Werk nennt sich „Trees out of Head“. Dabei handelt es sich um ein Bronze-Objekt, das auf einer sich drehenden Plattform aufgebaut ist und von zwei Lichtquellen als Schattenriss auf zwei hintereinander gehängte Vorhänge projiziert wird. Während man noch in Betrachtung dieser eindrucksvollen Präsentation gefangen ist, macht sich der Nachbarraum nachdrücklich bemerkbar. Hier läuft ein 12-minütiges Video, das aneinander gekoppelte Ausschnitte aus Ikemura-Werken in Endlosschleife zeigt. Die Begleitmusik wird als „Planetensound“ bezeichnet. Konfrontativ liegen drei Objekte der Reihe „Mädchen“ auf dem Boden, die vor rund 30 Jahren aus Terrakotta oder Bronze entstanden, und deren Unterkörper aus Formen bestehen, die Blumenkelchen ähneln. Diese Objekte gehören zu jenen, die Ikemura stets in Ausstellungen integriert. „Sie sind mir so wichtig, dass sie immer wieder mitnehme.“ Organisch in schwungvollen Bewegungen gebaute Sitzmöbel – eigens für die Ausstellung angefertigt – komplettieren das Ganze.
Lisa Felicitas Mattheis spricht angesichts der Vielschichtigkeit des Werkes in den Räumen der Kunsthalle von unterschiedlichen „Raum-Temperaturen“ und verweist auf extrem reduzierte Landschaften, auf anthropomorphe Landschaften, die Elemente von japanischen Tuschezeichnungen suggerieren, an die Verschmelzung von menschlicher Figur und Natur, wo der Mensch als Teil eines „kosmischen Ganzen“ eingebunden sei. Leiko Ikemura sieht es spezifischer, Sie wolle den Menschen transformieren, versichert sie mit Blick auf mehrere riesige Formate, bei denen weibliche Fíguren eine Art Basis für den Aufbau der Natur bilden.
Die Weltläufigkeit der Leiko Ikemura zeigt sich in einer mexikanischen Maske, in drei Skulpturen aus massiv gegossenem Glas, in graphischen Arbeiten, die wie Comics erscheinen. Leiko Ikemura, die in Berlin lebt, sei gleichwohl stets auf Reisen, versichert Lisa Felicitas Mattheis und macht deutlich, welch ein „wahnsinniges Geschenk“ die Ausstellung für Emden sei. Die Arbeiten passten „hervorragend“ zum Bestand der Kunsthalle, setzten ihn aber auch fort. Ikemura habe mit Papierarbeiten begonnen und sei dann in andere Gattungen übergegangen. Dabei verschmelzen europäische und japanische Bildtraditionen immer wieder miteinander. So wird in der Ausstellung Vielfalt in jeder Form zum Prinzip.