Ein Ostfriese als Missionar
Aurich. Die Überraschung kam zum Schluss. Architekt Kai Nilson überreichte der Referentin Kirsten Hoffmann ein dickes Konvolut von Briefen und Fotographien aus Familienbesitz. Inhalt: der Briefwechsel zwischen den Missionarsbrüdern Rudolf und Hilko Schomerus, die beide in Indien tätig waren.
Die Brüder waren das Thema im letzten Vortrag des Jahres 2024 der gemeinsamen Reihe von Landschaftsbibliothek und Niedersächsischem Landesarchiv, Abteilung Aurich. Kirsten Hoffmann hatte neue Quellen erschlossen, die den jungen Hilko Wiardo Schomerus (1879 bis 1945) als Missionar in Indien betreffen. Ein Teil des Nachlasses der Familie war bereits vor einigen Jahren ans Landesarchiv gelangt und bearbeitet worden. Aus diesen Erträgen trug Kirsten Hoffmann, Archivarin und stellvertretende Leiterin der Einrichtung, vor. Sie zeigte den Ostfriesen Schomerus als einen sturen Menschen, der sich mit seinem Arbeitgeber, dem Leipziger Missionswerk, auch anlegte, kündigte – und letztlich doch wieder zu ihm zurückkehrte.
Schomerus war 1903 über Sri Lanka nach Südindien gereist, berichtete Kirsten Hoffmann. Dort gab es Missionseinrichtungen, in denen der junge Ostfriese das Geschäft erst einmal zwei Jahre lang erlernen sollte. Er wurde einer Mission zugeteilt, in der sein Bruder Rudolf, ebenfalls Missionar, die Leitung hatte. Der Sprachkurs, den Schomerus als Grundlage seiner Arbeit absolvieren soll, wird nach einen halben Jahr abgesagt. Rudolf geht mit seiner Familie auf Heimaturlaub. Hilko muss übernehmen – und fühlt sich überfordert angesichts von Personalmangel, zu engen Finanzen, zu viel Bürokratie, die ihn zwingt, sich sieben bis acht Tage im Monat mit Verwaltungsaufgaben zu beschäftigen. Es ist eine Tätigkeit, die ihm zutiefst missfällt.
Als zudem noch Streitigkeiten ausbrechen, zieht Hilko die Konsequenzen. Er sucht nach Alternativen zum Leipziger Missionswerk. Eine amerikanische Einrichtung sticht ihm ins Auge, die finanziell deutlich umfangreicher ausgestaltet ist. Letztlich bleibt er aber bei den Leipzigern. Unklar ist warum. Vermutlich, so meint Kirsten Hoffmann, haben die Amerikaner seine Bewerbung abgelehnt oder seine Frau Mathilde hat Widerstand gegen einen solchen Wechsel erhoben. Am Ende erhält Hilko eine eigene Missionsstation in Indien – an einem winzigen Ort namens Erode, einem 278 Seelen-Dorf.
Mathilde, geborene Odefey, kannte Hilko aus dem Haus seiner Eltern. Sie war dort Haustochter. Hilko wollte unbedingt vor Beginn der Missionsarbeit heiraten, weil es üblich war, dass Missionare erst nach dreijähriger Tätigkeit eine Ehe schließen durften. Also machte er Matthilde einen Antrag, der diese völlig überraschte. Nach einwöchiger Bedenkzeit stimmte sie zu. Das Paar verlobte sich 1902. Anschließend reist Hilko ab. Die Hochzeit findet 1905 in Indien statt. In den folgenden Jahren werden vier Kinder geboren. Die Jahre vergehen, und die Familie befindet sich im Urlaub daheim, als der 1. Weltkrieg ausbricht und eine Rückkehr nach Indien nicht möglich ist. Schomerus sucht eine neue Beschäftigung, studiert Indologie und Religionswissenschaften, wird Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Halle. Er bleibt dort bis zu seinem Tod.