Pharmazeutische Geschichte und Geschichten

Leer. Warum beschäftigt sich jemand intensiv über Jahrzehnte mit dem Thema „ostfriesische Apotheken“? Dr. Heinrich Buurman (83) kann viele Gründe dafür benennen. Drei davon sollen hier genannt werden:
▄ Buurman war selber als Apotheker tätig.
▄ Er schrieb seine Doktorarbeit über das Thema.
▄ Das gegenwärtig massiv zu registrierende Apothekensterben macht ihm derart zu schaffen, dass er einen Erinnerungsort für alte und neue Apotheken schaffen wollte – in einem opulent ausgestatteten Buch mit dem Titel „ALTE Apotheken in Ostfriesland HEUTE“.

Heinrich Buurman in der heimischen Stube in Leer mit seinem neuesten Werk

Es ist das dritte Mal, dass Buurman sich schriftlich den Apotheken Ostfrieslands widmet. Und das macht er ausführlich. Zwischen Aurich und Wittmund spürt er pharmazeutischer Geschichte und Geschichten nach. Und dafür hat der Leeraner eine vielfach erprobte Methode entwickelt. Schon während seiner aktiven Zeit fand er immer wieder Gelegenheit, sich aus dem Betrieb zu stehlen und in zahlreichen Archiven Zeitungen durchzublättern, um entsprechende Nachrichten und Anzeigen zu sammeln, zu sortieren und zu bearbeiten.

Dabei ging es allerdings nicht allein um Apotheken. Buurman hat zahlreiche Interessen. Und so entstanden in den letzten Jahrzehnten Bücher über vielfältige ostfriesische Themen: ein dreibändiges Werk beschäftigt sich allein mit der Jagd in Ostfriesland. Es gibt aber auch Bücher über das Radfahren, über Kammerjäger und Optiker, über die Glasherstellung, über Zahnärzte, Tierärzte, Drogerien, über Alkoholismus und Selbstmedikamentation, über Lüntjes und über Norderney. Immer geht es dabei um Entwicklungen in der Region, und immer waren Anzeigen und Zeitungsberichte Basis seiner Publikationen.

In der Bibliothek von Heinrich Buurman versammelt: Je ein Exemplar seiner bisher erschienenen Bücher

Buurmans Dissertation über „Die Apotheken Ostfrieslands von den Anfängen bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871“ stieß in der Pharmazie auf soviel Interesse, dass ihre Veröffentlichung von einem Großhändler übernommen wurde. Auch der Ergänzungsband kam auf diese Weise an die Öffentlichkeit. Ob es für einen dritten Band noch genug Stoff gab, bezweifelte Buurman zunächst selber: „Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass alles Wissenswerte mit den beiden Bänden gesagt worden ist.“ Doch das nochmalige Recherchieren zeigte: „Nein, da ist noch reichlich Stoff vorhanden!“

Porzellanmalerei auf einem Teller: die Schwanen-Apotheke in Loquard, die 1972 aufgegeben wurde. Bilder: Dieses und die folgenden wurden dem Apotheken-Buch entnommen

Dieser findet sich jetzt in einem mehr als 300 Seiten umfassenden, schwergewichtigen Band, der Damals und Heute verbindet. Dabei aber auch das Apothekensterben dokumentiert. Fünf Apothekenschließungen haben den Pharmazeuten besonders und ganz persönlich getroffen, schreibt er im Prolog zu seinem neuen Buch.
▄ 2010 wurde die Alte Fehn-Apotheke in Westrhauderfehn geschlossen. Hier hatte Buurman nach dem Staatsexamen sein Kandidatenjahr verbracht
▄ 2012 folgte die Adler-Apotheke in Norden, wo Buurmans Vater, Gerhard, seine dreijährige Ausbildung zum Apotheker absolvierte
▄ Den praktischen Teil der pharmazeutischen Vorprüfung legte Buurman 1964 in der Einhorn-Apotheke in Emden ab. 2012 wurde auch diese geschlossen.
▄ Ebenfalls 2012 schloss in Ihrhove die Friesen-Apotheke, wo Buurman als Student in den Semesterferien als Vertretung im Einsatz war.
▄ Und seine zweijährige Praktikantenzeit diente der Apotheker in der Hager Apotheke ab. Diese existiert seit 2019 nicht mehr.

Pulverschachtel aus der Emder Einhorn-Apotheke mit der Aufschrift: Herrn Bürgermeister Hantelmann. Viermal täglich ein Pulver mit Wasser. 14. Juli 1862

Das Apothekensterben habe seit 2008 bundesweit zugenommen, verzeichnet Buurman. Gab es 2010 rund 21 400 Apotheken, so sank ihre Zahl bis 2021 auf 18 591. Leicht zeitversetzt zeigt sich dieselbe Entwicklung regional und lokal. Gründe für diese Entwicklung hat der Apotheker auch zusammengestellt: chronischer Mangel an Fachkräften, Arbeitsüberlastung, fehlende Nachfolger, Herausforderungen der Digitalisierung, fehlende Finanzmittel für Renovierungen und nicht mehr zeitgemäßes Management.

Dann beginnt Buurman mit der alphabetischen Auflistung der „alten“ Apotheken und ihrer Apotheker. Und nun kann man ins Stöbern kommen. Denn das Material, das Buurman diesen Listen beifügt, ist umfangreich und reicht von Werbeanzeigen bis zu Familiennachrichten über Heiraten, Geburten und Todesfälle. Firmenübernahmen wurden ebenso als Annonce angezeigt. Dazu hat Buurman Autographen der Apotheker mit aufgenommen, Zeugnisse, Rechnungen und andere Dokumente. Besonders unter den Werbeanzeigen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts findet sich zudem viel Vergnügliches.

Eine Sammlung von Rezept-Etiketten aus dem Archiv von Heinrich Buurman

So wirbt die Apotheke in Esens für „Rattenzwiebeln“, der Borkumer Apotheker bietet „Neptun-Pastillen“ als sicheres Mittel gegen Seekrankheit an. Die Apotheke in Greetsiel fragt 1905 per Anzeige: „Leiden Sie an Schweißfüßen“ und empfiehlt Antisudrin als probates Gegenmittel. In der Schwanenapotheke in Norden stehen 1912 zum Verkauf: verschiedene Fruchtsäfte, Gewürze, Weine und Parfüms. In Wittmund erhält man in der Apotheke „sämtliche Artikel zum Kuchenbacken“, außerdem „Liebigs Fleischextrakt“ und „Medicinal-Tokayer“. Der Apotheker von Wittmund rückt Pickeln und Mitessern mit der „Steckenpferd-Karbolteerschwefel-Seite auf den Leib.

Im wesentlichen aber richtet Buurman seinen Blick auf die Apotheken und ihre wechselnden Besitzer sowie vielfach auch auf deren Familien. Als Beispiel sei hier die „Fürstliche Hof-Apotheke“ in Aurich genannt, deren Geschichte er seit 1776 verfolgt – und zwar vor allem durch Anzeigen, die von der Übernahme des Geschäftes, Vermietungen, Todesfällen berichten. Aber auch besondere Angebote werden per Anzeige verbreitet. So vermeldet der damalige Eigentümer der Hof-Apotheke, Wilhelm Nicolaus Ebermaier, am 25. März 1815, er habe wieder ein Fass Bier vorrätig und könne nunmehr das oft nachgefragte Produkt Braunschweiger Mumme anbieten. Am 15. März 1825 erscheint eine Anzeige, in der ein Lehrling gesucht wird, der „aber Schulkenntnisse besitzen muss“.

Die Hirsch-Apotheke Leer in einer Skizze von Ernst Petrich

Am 19. April 1829 starb der Apotheker „still ergeben in den Willen des Höchsten“ im 60. Lebensjahr, wie seine Witwe im „Amtsblatt für die Provinz Ostfriesland“ vermeldet. Nachfolger von Ebermaier ist sein Schwiegersohn Carl August Wellenkamp, der die Apotheke zum 1. Januar 1830 übernimmt und diese „in tadellosem Zustand“ zu erhalten verspricht. Auch diese Ankündigung findet sich im oben benannten „Amtsblatt“. Im Oktober 1831 wird er Vater eines Mädchens. Doch sein Leben endet schon sieben Jahre später, und die Hof-Apotheke wird an Albertus Gerhardus Schuirman verpachtet.

Danach gibt es allerlei Inhaberwechsel – Wigbold Coens, Hermann Meyer, Julius Welter, Eduard Reimers, 1904 wird das Geschäft an Wilhelm Oesterley verkauft. Der aus Hannover stammende Oesterley verlässt Aurich nach vier Jahren und verkauft die Apotheke an Martin Stölting aus Hamburg. Nach 1933 ergibt sich eine Zäsur bis 1953 Dann ist Hinrich Ley als Eigentümer nachweisbar. Schließlich wird der Apotheker Lars Bakker benannt, der die Hof-Apotheke seit 2005 leitet.

Neuerscheinung im Verlag Dr. Buurman Leer

Abgeschlossen wird das Buch durch einen Anhang mit allerlei behördlichen Anordnungen, Bekanntmachungen und themenbezogenen Hinweisen. Darunter findet sich etwa ein Text zu unleserlichen Handschriften auf Rezepten, Überlegungen zu Frauen als Apothekerinnen, zu „Der Apotheker und der Alkohol“ oder zu Nacht- und Notdiensten. Dem Anhang folgt eine alphabetische Auflistung der heute in Ostfriesland noch bestehenden Apotheken.

► Heinrich Buurman, ALTE Apotheken in Ostfriesland HEUTE, 316 Seiten, mehr als 440 Abbildungen, ISBN 978-3-9821418-8-6. Erschienen ist das Buch im Verlag Dr. Buurman Leer. Es kostet 30 Euro

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