Von den Anfängen der nautischen Ausbildung

Aurich. Etwas Neues lernen, kann man immer. Und wenn ein Fachmann über die Geschichte des nautischen Unterrichts in Ostfriesland spricht, dann ist das eine Annäherung an ein Thema, das Küstenbewohner immer interessiert, und das letztlich zur Geschichte der Seefahrt gehört.

Referierte im Forum der Ostfriesischen Landschaft in Aurich: Professor Dr. Günther Oestmann. Bilder: Wolfgang Mauersberger

Dr. Günther Oestmann (Jahrgang 1959), gelernter Uhrmacher und Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Technischen Universität Berlin, hatte sich für den Vortrag, der von der Landschaftsbibliothek und dem Niedersächsischen Landesarchiv Abteilung Aurich gemeinsam organisiert wird, tief in die Archivalien des Stadtarchivs Emden und des ehemaligen Staatsarchivs gearbeitet und gab nun im Forum der Ostfriesischen Landschaft einen Überblick über die Ausbildung von Steuerleuten und Kapitänen im 19. Jahrhundert in Ostfriesland.

In diesem Haus in der Steinstraße war die Emder Navigationsschule untergebracht (rechter Eingang)

Bis Mitte des 18. Jahrhunderts erlernten die Seefahrer ihren Beruf in der praktischen Tätigkeit beim Befahren der Küsten. Allenfalls in den Wintermonaten war Zeit für etwas theoretisches Lernen. Das geschah – als Beispiel nannte Oestmann die Gepflogenheiten auf Sylt – durch den freiwilligen Unterricht eines Lehrers, der Interessierte in seiner Wohnstube versammelte und sie auf bescheidenem Niveau mit Fragen der Navigation bekannt machte. Unterrichtet wurde zumeist durch auswendig lernen. Für die Herleitung von mathematischen Hintergründen fehlte es an Zeit, aber auch an der Vorbildung der Lernenden.

Unterrichtsmaterial: ein Handbuch der Seefahrtskunde von 1835

Erst allmählich kristallisierte sich die Notwendigkeit heraus, den Unterricht zu systematisieren und einen verbindlichen Kanon zu entwickeln, der mit einer Prüfung abschloss. Angetrieben wurde dies durch politische und gesellschaftliche Faktoren – etwa die Auswanderung nach Amerika. Für die Fahrt über den Ozean musste die Qualifikation des Personals an Bord ein höheres Niveau erreichen als für die Küstenfahrt, erläuterte Oestmann.

Ist geblieben: das Hinweisschild auf die Navigationsschule in Timmel

Der Emder Magistrat monierte, dass es in der Stadt kaum jemanden gab, der über die Qualitäten zur Großen Fahrt verfügte. Man müsse entsprechende Seeleute aus den Niederlanden anwerben. So begann man in der Seehafenstadt, die Ausbildung selber zu organisieren. 1782 wird der Unterricht in Emden aufgenommen – in einem Haus in der Steinstraße, gleich neben der Großen Kirche. Um die Seeleute wirklich für den Unterricht zu verpflichten, bedurfte es drastischer Methoden. Der Magistrat verfügt, dass nur das Absolvieren der Ausbildung berechtigte, auf Emder Schiffen zu fahren.


Die Aufnahmebedingungen waren minimal: Wer den Unterricht besuchen wollte, musste Kenntnisse in den Grundrechenarten vorweisen. Bald gab es allerdings so etwas wie ein Curriculum. Aber es fehlte der Praxisbezug oder eine dezidierte Ausbildung an den nautischen Geräten. Die Besetzung der Lehrerstelle war eine weitere Hürde. So musste zum Beispiel ein Lehrer auch als Pensionär weiterhin unterrichten, weil der berufene Nachfolger „gemütskrank“ wurde. Fehlende Qualifikationen des Lehrpersonals waren ebenso ein Problem. Dann gab es Ärger, weil der Lehrer sich weigerte, auf Hochdeutsch zu unterrichten. Da inzwischen viele Seeleute in den Niederlanden arbeiteten, war das Niederländische auch gängige Verkehrssprache im maritimen Bereich, betonte Oestmann.

Von 1775 stammt dieser kleine „Zeemans-Wegwyzer“

Bis 1840 gab es in Ostfriesland nur die Navigationsschule in Emden. Dann entstanden ähnliche Einrichtungen in Timmel, Leer, Papenburg, Westrhauderfehn. Seit 1866 stiegen die Zahl der Fächer und die Anforderungen an die Schüler. Schließlich konnte der Unterricht nicht mit den Anforderungen der maritimen Wirtschaft mithalten. So kam es unter anderem zur Schließung der Emder Navigationsschule, der andere folgten. Schließlich blieb nur die Schule in Leer übrig, die bis heute in der Bergmannstraße existiert. Warum Leer? Weil hier, so Oestmann, das maritime Gewerbe fluktuierte und mehrere Reedereien ansässig waren.