Klistiere, Pillen und ein kunterbuntes Barock
Emden. Auf dem Programm im Festspielhaus am Wall: Molieres „Der eingebildete Kranke“. Was die Landesbühne aus Wilhelmshaven daraus gemacht hat, ist nun allerdings fern des Üblichen. Die Kostüme deuteten die Zeit, in der das Stück spielt, das Barock, nur ahnungsvoll an. Offensichtlich ein Hinweis auf die Zeitlosigkeit des Themas, das heute durchaus Relevanz hat, damals seine Begründung aber aus ganz anderen Motiven heraus fand.

Ansonsten geht es kunterbunt zu, in diesem turbulenten Haushalt, in dem sich alles nur um Argans Klistiere und Pillen dreht. Das umgangssprachliche „auf den Eimer gehen“ für den nun einmal nötigen Toilettengang, gewinnt da ganz unmittelbare Bedeutung und spielt schon auf dem Titelbild des Programmheftes eine zentrale Rolle. Die Eimer stehen dann auch im Bühnenbild vielfach herum. Ansonsten ist es zurückhaltend und nutzt Vorhänge zur Raumgestaltung und einen Sitzsack, der wahlweise auch mal zum Ruhelager umfunktioniert wird.

Markant sind die rosa-violetten Perücken. Markant auch das Wort „Agonie“, das riesig die Bühne beherrscht – in diesem Fall aber wohl nicht „Todeskampf“ bedeutet, sondern „Angst“. Denn das ist es, was die Hauptperson Argan latent beherrscht. Seine Hypochondrie entspringt einer massiven Egomanie, ist wohl aber auch ein Zeichen der Zeit, die zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt hin und her schwankte, eine Zeit, die geprägt war von nicht enden wollenden Kriegen und der Sucht, dem Leben alles herauszupressen, was irgend geht.


In das Bild des beständig sich krank fühlenden Menschen – eigentlich ein Jammerszenario, hier durch die karikierende Überzeichnung aber überaus komisch – mischt sich eine Liebesgeschichte. Diese lebt von einer Verwechslung, ist aber auch eingebunden in den Egoismus der Hauptfigur Argan, der seine Tochter an einen Arzt verschachern möchte, damit er ständig medizinische Zuwendung hat, ohne dafür zahlen zu müssen. Denn unser eingebildeter Kranker ist natürlich auch ein Geizhals.

Das achtköpfige Ensemble der Landesbühne war bestens aufgestellt – allen voran Stefan Faupel als Argan und Elena Marieke Gester, die als renitente Hausangestellte ein wunderbar lebhaftes, agiles Gegengewicht zu dem Leidenden herstellt. Franziska Jacobsen spielt eine ebenfalls widerspenstige Tochter Angélique, die Cléante (Gregor Scheil) heiraten möchte, aber nach dem Willen des Vaters den Jungmediziner Thomas (Félicien Moisset) ehelichen soll. Ramona Marx stellt eine Frau dar, die nur auf den Tod des Hypochonders wartet. Bezeichnenderweise trägt sie als einzige ein Barockgewand – freilich aus modernen Materialien, aber mit Hochperücke, die die Bewegungsfreiheit stark einschränkt. Dr. Purgon (Christoph Sommer) – in einem karnevalstauglichen Gewand – profitiert von der Unfähigkeit Argans, seine Krankheiten aufzugeben. Und selbst Bruder Béralde (Andreas Möckel) gelingt es nicht, die sich anbahnende unheilige eheliche Allianz zwischen seiner Nichte und Thomas abzulenken.

zwischen Beline und Argan

gab es eine Einführung
Fazit: So recht weiß man immer noch nicht, wie es sich mit den Klamotten verhält. Doch die sehr gute Schauspielkunst, verstärkt durch die Einbindung von Musik aus einer barocken Oper – das Ensemble kann in der Tat wunderbar singen – machten den Abend zu einem sehens- und hörenswerten Erlebnis.