Eine Lesereise zu vergessenen Autoren
Emden. Vergessene Literatur – darum ging es bei der jüngsten Veranstaltung der Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek. Dr. Petra Frerichs und Dr. Joke Frerichs beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dieser Thematik und stellten vier Bücher ausführlich vor. Die beiden in Köln lebenden Experten hatten sich nach der Beendigung ihrer beruflichen Tätigkeit auf die Literatur gestürzt. Sie bezeichnet sich als Vermittlerin von Texten, er sei als Autor mit der Literatur befasst, berichteten die beiden selber.

Eingangs hatte der Vorsitzende der Gesellschaft, Harald Groenewold, berichtet, wie er zur Literatur kam – nämlich über eine Beilage in der ZEIT, in der der Schriftsteller Peter Härtling vergessene Literatur in einer eigenen Kolumne vorstellte. Aber erst im Studium sei ihm ganz deutlich geworden, „was alles vergessen wurde“. Angesichts der Fülle des Vorhandenen werde aber auch klar, was man in seinem Leben aus Zeitmangel alles nicht mehr werde lesen können.
Gelesen wurde aus Jakob Wassermanns (1873 bis 1934) „Der Fall Maurizius“, ein Buch, das ein Vater-Sohn-Konflikt vor dem Hintergrund eines Justizirrtums schildert. Es sei „ein Buch von stilistischer Brillanz, das sich liest wie ein Sittengemälde des Wilhelminischen Zeitalters“, betonte Petra Frerichs und stellte den Wassermann-Roman auf eine Stufe mit Heinrich Manns „Der Untertan“ oder Joseph Roths „Radetzymarsch“.
Der Portugiese Fernando Pessoa (1888 bis 1935) schrieb das „Buch der Unruhe“, das erst Jahrzehnte nach seinem Tod erschien. Es besteht aus mehr als 500 Fragmenten, die aber in sich abgeschlossen sind, hat daher keine Handlung, und zeigt eine „poetische Verdichtung von Gefühlen“, wie Joke Frerichs, der das Werk vorstellte, erläuterte. Die Herausgabe dieses Buches nannte er „eine editorische Meisterleistung“.
Hans Henny Jahnn (1894 bis 1959) hat mit „Fluß ohne Ufer“ ein Werk von rund 2000 Seiten geschaffen. Die beiden Literaturexperten lobten die Aktualität seiner Texte, die sich um den Umgang mit der Schöpfung ranken. Jahnn, der auch Publizist, Orgelbauer, Musikverleger, Pferdezüchter und Landwirt war, galt wegen seiner radikalen Ansichten als Außenseiter im Literaturbetrieb. Er sei eine umstrittene Figur gewesen und seinerzeit kaum wahrgenommen worden, sagte Joke Frerichs.
Der letzte Autor war auch der Jüngste. Peter Kurzeck (1943 bis 2013). Petra Frerichs stellte ihn anhand seines Romans „Vorabend“ vor. Er, der über ein „phänomenales Gedächtnis“ verfügte. war Verfasser stark autobiographisch geprägter Romane. Begabt mit einer „außergewöhnlichen Empathie“ habe er als „hessischer Proust“ gegolten, sagte Petra Frerichs.
Die vier Autoren wurden jeweils mittels Lesungen langer Passagen aus ihren Werken vorgestellt. Das machte den Abend anstrengend. Denn die Autoren – leider war keine Frau darunter – vermittelten nicht unbedingt liebenswerte Seiten des Lebens, sondern – jeder auf seine Art – eine problematische Innenschau. Sie alle dürfen wohl als Eigenbrödler und extreme Individualisten bezeichnet werden. Harald Groenewold bezeichnete den Abend als „interessante Lesereise“ und empfahl den Besuchern, den Versuch zu wagen, in einer Buchhandlung oder Bücherei blind in die Literatur-Regalreihen zu greifen und sich überraschen zu lassen.