Ein Lexikon als Frucht detektivischer Kleinarbeit

Aurich. Das Künstlerlexikon „Bildende Kunst in Ostfriesland im 20. und 21. Jahrhundert“ ist jetzt in 3. Auflage erschienen. Es wurde im Rahmen einer Pressekonferenz im Haus der Ostfriesischen Landschaft vorgestellt.

Autor des 580-seitigen Bandes ist der Jurist Dr. Walter Baumfalk, der sich seit Jahrzehnten mit der regionalen Kunst befasst. Seine umfassenden Erfahrungen in der Begegnung mit bildenden Künstlern, die er in ihren Ateliers aufsucht, mit denen er diskutiert, deren Kunst er sammelt, ermöglichten ihm den Einstieg in eine ganz neue Welt, wie er selber sagt. Mittlerweile lebe er ganz in dieser Welt der Kunst.

Stellten das Lexikon vor: Landschaftsdirektor Dr. Matthias Stenger, Leiter der Landschaftsbibliothek Dr. Heiko Suhr, Autor Dr. Walter Baumfalk und Landschaftspräsident Rico Mecklenburg im Garten der Ostfriesischen Landschaft unter einer der Upstalsboom-Eichen. Bild: Sebastian Schatz, OL

Dabei erinnert sich Baumfalk lebhaft an die Anfänge seiner Sammeltätigkeit vor rund 40 Jahren. Damals bezog er sein Haus in Aurich, und an den leeren Wänden verloren sich eine Replik von Monets „Garten von Giverny“ und drei Bilder von Gerd Gramberg, die das Ehepaar Baumfalk bei einer Ausstellung in Greetsiel gekauft hatte.

In der Folge begannen sich die beiden Juristen intensiver mit dem Sujet zu beschäftigen und stellten zu ihrem Erstaunen fest, dass das vielfältige Kunstschaffen in Ostfriesland entweder wenig bekannt war, oder gar geringschätzig beurteilt wurde. Daraus erwuchs bei dem Ehepaar der Wunsch, sich eine Übersicht über die hiesige Szene zu verschaffen. Als Ingeborg Baumfalk-Lüpke aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden musste, begann sie, erste Notizen über die Künstler in Ostfriesland anzulegen. Diese Arbeit setzte Baumfalk nach seinem Eintritt in den Ruhestand 1998 systematisch fort. „Das ist für mich keine Beschäftigung, sondern es ist eine sinnstiftende Tätigkeit“, sagt er selber.

Ein großer Teil seiner Bilder- und Skulpturen-Sammlung floss in die Stiftung bildende Kunst und Kultur in der deutsch-niederländischen Ems-Dollart-Region ein, die beim Ostfriesischen Landesmuseum Emden beheimatet ist. Dort entstand mit der Neuen Galerie ein ständiger Ausstellungsort für die Arbeiten.

Baumfalks umfangreiche Recherchen über die bildenden Künstler, die in Ostfriesland tätig waren oder sind, mündeten 2016 in eine erste Auflage des Künstler-Lexikons, die rasch vergriffen war. Baumfalk hatte in der Zwischenzeit weitere Künstler ausfindig gemacht und konnte die zweite Auflage, die 2020 erschien, nicht nur bereinigen, sondern auch um 15 Künstler und zwei Künstlerinnen erweitern. Für die dritte Auflage wurden nochmals sieben Künstlerinnen und 14 Künstler aufgenommen.

Unter diesen befindet sich auch ein berühmter deutscher Künstler von Weltgeltung: Gerhard Richter. Der hatte dreimal auf Juist Urlaub gemacht. Und diese Insel-Erfahrungen flossen in Bilder ein. Baumfalk schrieb Richter an, legte einen Entwurf des geplanten Artikels und die zweite Auflage des Lexikons bei – und erhielt den durchgesehenen Artikel innerhalb einer Woche zurück. „Ich war völlig überrascht, wie unkompliziert das war“, staunt Baumfalk noch heute. „Ich hatte nicht damit gerechnet, überhaupt an ihn heranzukommen.“

Das Hauptfeld der Künstler im Lexikon machen aber naturgemäß jene Bildner aus, die regional zu verorten sind. Um deren Lebensdaten korrekt in Erfahrung zu bringen, zieht der Jurist alle Register. Er bemüht Standesämter, stöbert in Kirchenbüchern, Archiven, Bibliotheken, Zeitungen, Magazinen. Manchmal stößt er an Grenzen, etwa wenn Unterlagen im Krieg verloren gingen. Aber die eigentliche Hürde bildet oft genug der Datenschutz. Da geht dann ab und an auch wohl mal ein Brief an das Ministerium für Wissenschaft und Kunst, um Nachforschungen erfolgreich abschließen zu können.

Einmal konnte Baumfalk die Biographie eines Künstlers korrigieren, der – wohl eher dem Wunsch als der Realität entsprechend – seine Daten gehörig aufgehübscht hatte. Oft genug entnimmt er Todesanzeigen die Namen von Verwandten, die dann eingebunden werden in den Versuch, Lebensläufe zu entschlüsseln. Teilweise spricht Baumfalk dann schon die Enkel-Generation an, denn die zeitliche Grenze seiner Recherchen setzt er zwar zu jener Zeit, „als in Ostfriesland die Moderne begann“. Das wäre um 1900. Aber die Künstler sind vielfach älter. So ist es nötig, auch die Grenze der Aufnahme von Künstlern ins Lexikon auf etwa 1850 nach hinten zu verlegen.

„Die Arbeit füllt mich ziemlich aus“, versichert Walter Baumfalk. Und das sieht auch Landschaftsdirektor Rico Mecklenburg so, der dem Autor bei der Buchvorstellung „detektivische Kleinarbeit“ zubilligte. Das diese Art des Nachspürens von Lebensläufen gar nicht so selten vorkommt, zeigte sich erst jüngst.

So fand Baumfalk bei einer Versteigerung ein Gemälde, das unterzeichnet war mit Karl Anklam. Anklam war Auricher Bürgermeister von 1945/46. Dass er darüber hinaus malte, wusste wohl nur ein kleiner Kreis. Baumfalk ersteigerte das Bild – und nun ist der Kunstliebhaber auf der Suche nach Informationen. Über eine Todesanzeige fand sich ein Enkel Anklams, in dessen Besitz sich ein Tagebuch seines Großvaters befindet. Dieses wird derzeit daraufhin gesichtet, ob sich über das malerische Ouvre etwas nachweisen lässt. Im Historischen Museum fand sich zudem ein zweites Gemälde von der Hand des Bürgermeisters, so dass Baumfalk nunmehr ganz zuversichtlich ist, mehr über die Hintergründe erfahren zu können.

Obwohl ihn das Lexikon „sehr viel Kraft“ gekostet hat, macht der 89-Jährige immer noch weiter. Er besucht Ausstellungen, unternimmt Atelier-Besuche, verfolgt Veröffentlichungen. Und immer, wenn es weitere Informationen gibt, notiert er diese sorgsam in einem Exemplar des Lexikons, das er „mein Arbeitsexemplar“ nennt. Dabei ist er absolut sicher, dass es auch künftig immer noch neue Entdeckungen geben wird, die eine Aufnahme in sein Lexikon rechtfertigen.

► Das Lexikon „Bildende Kunst in Ostfriesland im 20. und 21. Jahrhundert“ ist in der Ostfriesischen Landschaftlichen Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH erschienen. ISBN 978-3-940601-78-0. Es kostet 28,90 Euro