Wenn Familiengeschichte zur Stadtgeschichte wird
Neuharlingersiel / Emden. Die Clementiner-Bruderschaft, die älteste noch existierende diakonische Einrichtung Emdens, hat einen weiteren historischen Schaffer-Schlüssel als Dauerleihgabe erhalten. Er ist jetzt offiziell an die Johannes a Lasco Bibliothek übergeben worden. Dort wird er Bestandteil der bereits vorhandenen Sammlung zu den historischen Diakonien Emdens. Leihgeber des Schlüssels ist der in Neuharlingersiel lebende Wiard Loesing, der selber in Dortmund geboren wurde, dessen Familie aber zahlreiche Bezüge nach Emden hat. So waren zwei Mitglieder der Familie Bürgermeister der Seehafenstadt: Hinrich Loesing (1764 bis 1787) und Helias Loesing (1796 bis 1806 und 1818 bis 1837).

Der silberne Schlüssel von 1847 hat dem Urgroßvater von Wiard Loesing, Abraham Wilhelm Loesing (1811 bis 1893), gehört, der auf dem Objekt als „abgehender Schaffer“ benannt ist. Abraham Loesing war Kaufmann in Emden. Verheiratet hatte er sich mit Friederike Rödenbäck aus Esens (1821 bis 1893). Ihre beiden Söhne, Johannes und Wilhelm (1866 bis 1945) übernahmen den elterlichen Kolonialwarenladen in der Straße Zwischen beiden Sielen. Wilhelm, so sagt Wiard Loesing, war sozial ebenfalls engagiert – als Diakon bei den Fremdlingen Armen. „Das gehörte damals wohl zum gesellschaftlichen Ton“, meint Loesing.

Die Übergabe der Leihgabe an die Clementiner hat im Haus von Wiard Loesing in Neuharlingersiel stattgefunden. Erster Ältermann Dietmar Frerichs wies dabei darauf hin, dass die Clementiner Bruderschaft zwar kein eigenes Archiv besitzt, aber sehr dankbar ist, wenn Objekte, die unmittelbar mit der diakonischen Einrichtung zu tun haben, sich wieder einfinden. Die Johannes a Lasco Bibliothek bewahrt in ihrem Bestand bisher acht der silbernen Schlüssel auf, der älteste datiert von 1617. Aber auch die Stiftungsurkunde der Schiffer-Diakonie befindet sich dort und wird aktuell in der neuen Ausstellung „Highlights aus sechs Jahrhunderten“ ausgestellt.

Die Clementiner-Bruderschaft ist eine diakonische Einrichtung, die 77 Jahre älter ist als die „Diakonie der Fremdlingen Armen“. Sie wurde 1481 ursprünglich als katholische Laienbruderschaft gegründet und kümmerte sich um in Not geratene Seeleute und deren Angehörige. Die Bruderschaft gab sich die ersten Statuten 1495, arbeitet aber erst seit 1517, also nach Beginn der Reformation, ausdrücklich als Diakonie. Anders als die „Fremdlingen Armen“, die bis heute für sogenannte „verschämte Arme“ sorgt, waren die Clementiner – benannt nach dem Schutzheiligen der Seeleute, Papst Clemens (geboren 50 n. Ch., gestorben um 100) -, über lange Zeit in den Hintergrund getreten. Die Emder Kaufleute Johannes Barghoorn und Heye Heikens führten sie zwar bis ins 21. Jahrhundert – allerdings nur dem Namen nach und ohne aktive Arbeit.

Zu leiden hatte die Bruderschaft in der NS-Zeit, als die selbst verwalteten Armenhäuser, die direkt dem Chor der Großen Kirche gegenüber lagen, an die Machthaber abgetreten werden mussten, um dem Bunker in der Kirchstraße Platz zu machen. Ihrer finanziellen Mittel weitestgehend beraubt, verfolgten die Clementiner nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem das Ziel, ihr geschichtliches Vermächtnis zu bewahren: Schlüssel, Münzen, silberne Olderman-Kette in Form eines Schiffsrumpfes mit angehängtem Anker, die alten Urkunden, Rechnungsbücher.

Im Dezember 2021 belebten sechs Emder Bürger, darunter Oberbürgermeister Tim Kruithoff, die Clementiner Bruderschaft in der Konsistorienstube der Neuen Kirche neu. Das Ziel: Erhalt der Einrichtung und Fortsetzung der Tradition. Erster Ältermann Dietmar Frerichs sagte damals, man wolle als erste Aufgabe die Geschichte der Einrichtung aufarbeiten und dabei mit der Sichtung des Bestandes beginnen. Dazu zählen auch die Schlüssel, die man seit 1617 vergab – angeblich an jeden aus dem Amt scheidenden Schaffer. Ob das tatsächlich so stimmt, soll eine Untersuchung klären, die die Clementiner in Auftrag gegeben haben.

Seit dem 19. Jahrhundert wurden die Schlüssel laut Meisterzeichen bei Wilkens & van Hoorn in Emden gefertigt. Die Form des Schlüssels soll einem eisernen Vorbild nachempfunden sein, das die erste Hauptkasse der „Clementiner“ öffnete und verschloss. Die oval geformte Reite des Silberschlüssels – das ist der Griff – zeigt ein Schiff auf See und die Initialen „S“ und „A“. Das ist auch bei dem Schlüssel aus Neuharingersiel so. Die Rückseite verweist auf das Jahr 1847. Der Schlüssel wurde aus 12-lötigem Silber hergestellt und wiegt gut 100 Gramm.
Erst vor drei Jahren hatten die Freunde des Ostfriesischen Landesmuseums mit Hilfe der Clementiner-Bruderschaft einen silbernen Schlüssel von 1837 im Kunsthandel erworben. Derzeit befinden sich somit elf der historischen Exponate in Emden. Unbekannt indes ist, wie viele Schlüssel seit dem 17. Jahrhundert insgesamt ausgegeben worden sind.