Venezianische Impressionen
Leer. Einen flüchtigen Blick wirft er hinter sich, besieht sein Ebenbild auf einer Großprojektion an der Bühnenwand und sagt wie nebenher und mehr zu sich selbst als zum Publikum: „Jünger wird man auch nicht!“ Ulrich Tukur (Jahrgang 1957) ist zum dritten Mal bei den Gezeitenkonzerten, und anders als sonst, steht er alleine auf der Bühne des Theaters an der Blinke. Mit dem Auto ist er aus Italien angereist – samt Partnerin, der Fotografin Katharina John, und Hund.


Hunde spielen in seinem Leben eine wichtige Rolle, bekennt der Schauspieler, Sänger, Pianist und Akkordeonist. Und so hat er auch eine entsprechende Geschichte in seinem Buch „Die Seerose im Speisesaal“ untergebracht. Um dieses Buch geht es nämlich bei seiner Lesung in Leer. Und die ungewöhnlichen Schnappschüsse, offensichtlich von Katharina John, weisen den Weg durch ein Venedig, das aus der Binnensicht betrachtet wird und das hier seinen glanzvollen Charakter abgelegt hat.
Das Buch entstand während seines 20-jährigen Aufenthaltes in Venedig. Dort hat er gewohnt, hat die Sprache gelernt, hat sich bekannt gemacht, hat die einfachen Leute kennen, verstehen und schätzen gelernt. Und so handelt „Die Seerose im Speisesaal“ von diesen einfachen Menschen und von venezianischen Besonderheiten. Skurrilitäten sind dabei eingerechnet, weil Tukur ein Talent für das Erkennen und Beschreiben absonderlicher Situationen hat.


Dass er dabei Nebenthemen berührt, mal Biographisches, Wirtschaftliches, Hintergründiges streift, gehört bei ihm dazu. Und spannend erzählen kann er, ohne Zweifel! Venedig, die Serenissima, ist aber stets gegenwärtig, auch wenn sie keine tragende Rolle spielt. Stets ist man sich bewusst, dass sich der Menschenschlag, um den es geht, sich nur vor der Kulisse des Markus-Doms so entwickeln konnte.
Die Lesung hat einen nuschelig-schwerfälligen, sehr langen ersten Teil. Man muss aufpassen, den zentralen Roten Faden fest im Blick zu halten. Der zweite Teil ist deutlich konzentrierter, kürzer und somit für das Publikum fruchtbringender. An den Schluss stellt Tukur die Geschichte einer alten Italienerin, die selbstbestimmt bis zum Ende ihr Leben gestaltet. Diese Story steht zwar nicht im Buch, passt aber ausgezeichnet in das Konzept.


Tukur hat sein Akkordeon dabei, dass er ab und an nutzt – natürlich für italienische Musik. Am Schluss aber steht ein deutscher Schlager, den Hans Albers gesungen hat: „Ich hab‘ eine kleine Philosophie“. Die Gelassenheit, die der Text beinhaltet, strahlt aus. Tukur verbeugt sich – und geht, ohne seinem Ebenbild als Gondoliere an der Bühnenwand noch einen Blick gegönnt zu haben.